Der Feuerstein
uns durch Brombeergestrüpp quälen und um Felsbrocken herumklettern. Langsam führt uns der Weg wieder auf größere Höhen. Dann endlich weicht das schattenhafte Schwarz der geduckten Wacholderbüsche einem tiefen, sternenübersäten Blau, das am unteren Rand in ein orangerotes Glühen übergeht: Das Heer von Invierne ist nahe. Viel zu nahe. Jacián winkt uns zum Rand einer hohen Klippe, und als wir hinuntersehen, blicken wir in ein weites Tal. Die sanft geschwungene Landschaft ist mit Lagerfeuern übersät, wie kleine Kerzenflammen auf Samt, die
sich so weit nach Norden und Süden erstrecken, wie mein Blick reicht, und sich ostwärts noch ein Stück die Ausläufer der Sierra Sangre hinaufziehen.
»Oh mein Gott«, flüstere ich.
Jacián führt uns über die Kuppe und dann einen schmalen Wildpfad hinab, auf dem wir uns seitlich, den Rücken eng an die Klippenwand gepresst, weiter voranmühen. Dieses Stück des Weges, das wir noch dazu im Dunkeln zurücklegen müssen, ist vermutlich der gefährlichste Abschnitt unserer ganzen Reise. Und dennoch, mir fällt das kaum auf. Meine Gedanken sind erfüllt von der enormen Größe dieses Heeres und von dem Staunen über den seltsamen, besessenen Glauben, der meine Begleiter offenbar erfüllt, wenn sie jemanden wie mich durch das ganze Land schleppen und tatsächlich hoffen, ich könnte sie vor einer solch übermächtigen Bedrohung retten. Ich höre ein leichtes Rascheln, als Jacián Gesträuch beiseiteschiebt, um die Höhlenöffnung freizulegen; sie ist klein und von einem tieferen Schwarz als die Dunkelheit um uns herum. Einer nach dem anderen klettern wir hinein.
Die Luft kühlt und befeuchtet meine Haut sofort. Dann fühle ich, wie sich eine Hand in meine schiebt, und ich erkenne Humbertos Berührung.
»Ganz vorsichtig weitergehen, Elisa«, flüstert er, während er mich mit sich um eine Ecke zieht. Ich kann nichts sehen, folge ihm aber blind, denn mein Kopf ist wie im Nebel, weil wieder eisige Ranken durch meinen Bauch zucken. Ich habe vergessen zu beten.
Das durchdringende Ratschen von Flintstein und Stahl folgt fast sofort und erzeugt einen Funken, der noch lange
vor meinen geblendeten Augen steht, als er selbst schon zu einer bloßen Kerzenflamme geschrumpft ist. Cosmé hält die Kerze in die Höhe, und das Licht offenbart eine hohe Decke aus tropfenden Stalaktiten. »Ich war schon Jahre nicht mehr hier«, sagt sie mit weicher Stimme.
»Wir haben hier früher oft gespielt«, erklärt mir Humberto leise und dicht an meinem Ohr. »Als wir noch klein waren. Im Frühling fließt ein flacher Bach durch diese Kammer, in dem man herrlich baden kann.«
»Das Kerzenlicht?«, frage ich. »Können wir uns das erlauben?«
»Ja. In der nächsten Kammer hinter dieser hier können wir uns sogar ein kleines Feuer anzünden.«
Die Kammer, die er meint, ist winzig und rund und hat einen weichen Sandboden. Vor allem aber wird ihr Eingang von einer riesigen Kalksteinsäule getarnt, die davor aus dem Boden wächst. Das ganze Höhlensystem liegt voller toter Äste, zerknickt und glatt gewaschen von den Sturzbächen der Schneeschmelze im Frühling, und so haben wir genug Holz für ein wärmendes Feuer, über dem wir kochen können. Wir breiten unsere Decken aus und trinken dann Kiefernadeltee.
Belén übernimmt die erste Wache am Höhleneingang in der Klippenwand. Ich bete meinen Körper warm, bevor ich in unruhigen Schlaf falle.
Der Morgen kommt mit grauem Licht. Wie in den Badegrotten im Berg hinter unserem versteckten Dorf findet die Sonne auch hier ihren Weg in die Tiefe. Ich bin allein in der kleinen Kalksteinhöhle. Erst bete ich eine Weile, um wieder
etwas Wärme in meine tauben Glieder zu bekommen, dann stehe ich auf und hole Tinte, Häute und Federn aus meinem Rucksack. Ich will diese Aufgabe so schnell wie möglich hinter mich bringen.
Cosmé kommt herein, als ich gerade die Höhle verlassen will. Sie bringt einen erlegten Hasen mit, den sie so an den Beinen hält, dass die langen, geäderten Ohren über den Sand schleifen. »Willst du schon anfangen?«, fragt sie und deutet mit einer leichten Bewegung ihres Kinns auf die Schreibhäute.
»Ich will hier nicht herumsitzen.«
Ihre Augen sind hell, und ihre lockere, entspannte Art ist ungewohnt. Unter ihrer perfekten Haut wird eine ganz andere junge Frau sichtbar, eine, die oft lächelt und freundlich sein kann. Vielleicht liegt es daran, dass wir hier an einem Ort sind, an dem sie in ihrer Kindheit viel Zeit
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