Der Feuerthron
»Bist du es, Sianderilneh?«
Enttäuschung und Ablehnung schwangen in dieser Frage mit. Die Frau musste dem kleinen Kreis um Hekerenandil angehören, da andere Runi nicht so weit in Richtung der Menschenländer fuhren und dabei den magischen Schirm verließen. Hoffentlich war die Frau vorsichtig genug gewesen, sich nicht sehen zu lassen.
»Sei unbesorgt! Die Befehle der Königin sind mir heilig!«
Sianderilneh zuckte zusammen. In ihrer Erregung hatte sie den Kontakt aufrechterhalten und dabei die andere in ihre Gedanken blicken lassen. Sie schluckte ihren Ärger hinunter und fragte die Frau, was sie denn zu berichten hätte. »Mach schnell, ich bin auf der Suche nach dem entflohenen Kind und muss es zurückholen, bevor es in die See der magischen Stürme gerät!« Das hätte siebesser nicht sagen sollen, denn nun ergossen sich die Gedanken der anderen wie ein Wasserfall über sie.
»Hekendialondilan? Bei Meandir, wie schrecklich! Kann ich euch bei der Suche helfen?«
»Dafür bist du zu weit weg. Und jetzt sprich! Ich brauche meine Konzentration für die Suche.« Sianderilneh vernahm den Schreck, der ihrer Gesprächspartnerin in die Glieder gefahren war, wie einen Aufschrei.
Dennoch erstattete die ältere Runi ihr kurz und präzise Bericht. »Gurrland hat die entscheidende Schlacht auf Gelonda gewonnen und die gesamte Insel besetzt. Ihre Vorhut steht nun vor Malvone. Es ist zu erwarten, dass sie dort in Kürze landen werden. Nun wünsche ich dir Glück bei der Suche nach unserer Kleinen.«
Die Verbindung riss ab, und Sianderilneh blieb mit ihren Gedanken allein. Gelonda war gefallen. Das hatte sie schon länger erwartet, doch es erschien ihr wie ein böses Omen, dass es gerade jetzt geschehen war. Mit weiß aufflammenden Augen wandte sie sich an ihre Gefolgsleute und nahm auch Kontakt zu ihren anderen Schiffen auf.
»Jetzt ist es noch wichtiger, Hekendialondilan aufzuhalten und zurückzubringen. Ich nehme an, dass sie die Menschen nach Gelonda bringen will. Doch diese Insel ist gefallen. Erreicht sie sie, fällt sie den Gurrländern in die Hände.«
6
Die Cousine der Königin ist hartnäckiger, als ich es m ir vorgestellt habe!« Hekendialondilan wirkte ratlos. Mehr als zwei Tage lang hatte sie alles getan, was ihr möglich war, um die Verfolger abzuschütteln. Doch fünf Schiffe waren einfach zu viel für ihr Boot.Während der letzten Stunden hatten Sianderilneh und ihre Leute stark aufgeholt und hielten jetzt eine bogenartige Formation ein, die es ihr unmöglich machte, seitlich zu entkommen.
Sie rieb sich die Arme, als friere sie trotz der vom Himmel brennenden Sonne. »Uns bleibt nur noch ein Weg. Wir müssen den Kurs beibehalten, den wir jetzt fahren, und noch schneller werden.«
»Du siehst sehr besorgt aus, Heke!« Mera hatte sich ebenso wie die anderen angewöhnt, den Namen des Runimädchens abzukürzen. Hekendialondilan nahm keinen Anstoß mehr daran, denn sie hatte begriffen, dass sie die Menschen mit anderen Maßstäben messen musste als die Angehörigen ihres Volkes.
»Ich bin auch besorgt«, antwortete sie. »Die See vor uns ist der Geburtsort der magischen Stürme. Betet zu euren Göttern und Göttinnen, dass sie uns gnädig sind. Wenn wir in einen Zusammenprall von Gegenfarben geraten, dürfte es unser Ende sein.«
»Sollten wir dann nicht lieber aufgeben und darauf hoffen, dass die Königin uns gnädig ist? Wenn sie erfährt, dass ich die Schwester der regierenden Fürstin von Ardhenu bin, wird sie ...«
»Einen grünen Dämon wird sie tun!«, unterbrach Kip Careela rüde. »Du hast doch diese Sianderwasweißich gesehen! Für die sind wir nur Ungeziefer, das man bedenkenlos beseitigen kann. Ich will nicht noch einmal in eine Höhle eingesperrt werden und fürchten müssen, dort bis zum Ende meiner Tage als Stein zu liegen!«
Hekendialondilan schüttelte den Kopf. »Sie würde euch nicht mehr in eine Höhle einsperren, sondern versteinern und im Meer versenken. Das hat sie ihren Begleitern mit so viel Energie mitgeteilt, dass ich es dem Wasser entnehmen konnte. Sie sucht ganz verzweifelt nach uns und verliert dabei immer wieder einen Gedanken, den ich lesen kann.«
Die Vorstellung, eine Runierin verlöre Gedanken wie andere Münzen, ließ Kip in ein mädchenhaftes Kichern ausbrechen. Aber er wurde schnell wieder ernst. »Ich will nicht im Meer versenkt werden!«
»Ich auch nicht! Aber ich will Heke nicht in Gefahr bringen. Wenn die magischen Stürme so gefährlich sind, dann ...«
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