Der Feuerthron
dem Schiff die Erlaubnis, sich zurückzuziehen, und steuerte es stattdessen auf die Stelle zu, in der in der anderen Wirklichkeit der Fluss strömte. Sie spürte sein magisches Band und wollte ihm folgen. Zunächst umschiffte sie noch die Klippen. Dann aber merkte sie, dass diese ihr Boot gar nicht mehr aufhalten konnten, und hielt genau auf die Kerninsel zu. Bevor sie diese jedoch erreichte, brach der magische Sturm los, und die Klippen wurden wieder zu den reißenden Zähnen des Meeres, denen sich kein Schiff widersetzen konnte.
Weit hinter Sianderilneh erreichte unterdessen das Boot mit Mera und den anderen die offene See und schlug einen neuen Kurs ein, der sie von den mörderischen Gewalten des Zaubersturmes wegführte.
1
Die See war so ruhig, als hätte ein Zauber den Sturm und die hohen Wellen gebannt. Es wehte nur noch eine leichte Brise, die gerade stark genug war, das Segel des Runibootes zu füllen, das gemächlich gen Süden zog. Der Schrecken der Geburtsstätte der magischen Stürme war verblasst, und während Careela den kleinen Argo mit Wunschbeeren fütterte, hockte Kip auf der Bordwand, beide Beine nach draußen geschwungen, und hielt seine selbst gebastelte Angel in der Hand.
»Es wird Zeit, dass etwas anbeißt! So wie dieser Bengel die Beeren vertilgt, haben wir bald nichts mehr zu essen!«
Mera musste Kip recht geben. Argo begnügte sich nicht mit zwei, drei Beeren, wie sie und die anderen es taten, sondern wollte immer mehr haben, und wenn er keine bekam, schrie er, bis der Mast wackelte.
Damit nervte er Kip so, dass dieser vorschlug, das lästige kleine Ungeheuer über Bord zu werfen.
Mit diesem Ausruf wiederum zog er sich Careelas Zorn zu. Die Prinzessin schien über Nacht eine andere Person geworden zu sein, denn sie bemutterte den Kleinen und beschützte ihn wie eine Glucke. Da sie annahm, der Vorschlag sei todernst gemeint, setzte sie sich so vehement für den Kleinen ein, dass es Kip eine Weile die Sprache verschlug.
Mera konnte sich nicht genug über Careelas Wandlung wundern. Bis zu Argos Auftauchen war die Prinzessin aus Ardhenu alles andere als eine angenehme Reisegefährtin gewesen, und sienervte auch jetzt noch manchmal. Aber wenn es um den Jungen ging, stellte sie sogar ihre eigenen Bedürfnisse zurück.
Der Kleine sah aber auch allerliebst aus. Er besaß ein hübsches Gesicht und bezauberte alle mit seinem Lächeln – wenn er nicht gerade Beeren haben wollte. Seine Augen leuchteten hell, fast weiß, wenn er Hekendialondilan oder Reodhendhor anblickte, und blau, wenn er zu den anderen aufsah. Nur seine Haare fand Mera gewöhnungsbedürftig, denn sie schimmerten immer noch in sämtlichen Farben des magischen Spektrums, auch wenn Weiß und Blau am stärksten vertreten waren.
Irgendetwas stimmte mit dem Jungen nicht, da war Mera sich sicher. Sonst wäre er nicht in diesen Kristall eingesperrt gewesen. Doch auch Hekendialondilan konnte ihr nicht sagen, was es mit dem kleinen Burschen auf sich hatte, obwohl sie in magischen Dingen weitaus erfahrener war als sie. Auf jeden Fall sah der Junge nicht wie ein Ilyndhirer oder Wardanier aus, auch wenn er gewisse Züge dieser Völker trug. Aber wenn man wollte, konnte man auch sagen, er sei mit den Terenern, den Malvonern oder den Gelondanern verwandt. Careela glaubte allerdings, er habe am meisten von einem Ardhun an sich, und Hekendialondilan hatte auf seine Ohren hingewiesen, die schmäler, länger und spitzer waren als die eines Menschen. Argo konnte sie sogar bewegen wie ein Runi.
Mera versuchte, von Reodhendhor eine Erklärung zu bekommen, doch der konnte ihr auch nicht helfen. Den Kristall, aus dem der Junge herausgekommen war, hatte er niemals zu Gesicht bekommen, obwohl er gut tausend Jahre bei dem Skelett des Arghans verbracht hatte. Zuerst wunderte Mera sich darüber, doch dann begriff sie, wie es wirklich gewesen war. Der Geisterruni hatte sich schon bald nach seinem Tod in den Illusionszauber hinübergerettet und das Skelett des Arghan nie so gesehen wie sie und ihre Freunde.
»Woran denkst du?« Girdhan setzte sich neben sie. In der Hand hielt er das Paket, das er und Kip aus dem Wrack des Schiffesgeholt hatten, mit dem Reodhendhor zur Insel gekommen war. Als Mera nur lächelnd auf Argo zeigte, grinste er. »Über den Kleinen zerbreche ich mir nicht mehr den Kopf. Schau mal her! Interessiert es dich nicht, was wir auf dem alten Runischiff gefunden haben? Leider hatten wir viel zu wenig Zeit zu
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