Der Feuerthron
würde, das monströse Artefakt und damit auch Gurrland zu beherrschen. Kurz entschlossen lief sie zu ihm und setzte sich neben ihn. Ihre linke Hand suchte seine rechte, und noch während sie ihm Mut zusprach, stürmten Bilder auf sie ein.
Es war, als dringe die gesamte Welt in ihren Kopf. Sie fühlte sich wie ein Blatt, das vom Sturm hochgerissen und davongetragen wurde. Immer höher stieg sie auf und sah nun Gurrland unter sich, eine verkommene, schlecht gepflegte Insel, deren Felder mühselig von stumpfsinnigen Sklaven bewirtschaftet wurden. Einzelne Bilder drängten sich ihr auf, so als müsse sie durch fremde Augen blicken. Mürrische Aufseher trieben die Sklavenarbeiter an, junge Gurrländer wurden einem beinahe unmenschlichen Drill unterworfen, um Kampfmaschinen aus ihnen zu machen. In einem Hafen im Nordwesten wurde ein neues Schiffsmonster aus Eisen gefertigt, weitaus größer als die Schwarzen Galeeren und mächtig genug, jedem Sturm trotzen zu können.
Lieber als das hätte Mera ihre Heimat gesehen. Sie hatte es kaum gedacht, da flog die Welt so schnell unter ihr vorbei, dass sie nicht einmal die Namen der Inseln nennen konnte, die sie überquerte. Plötzlich wurde sie langsamer und stieß wie ein Raubvogel auf Ilyndhir hinab. Für Augenblicke nahm sie das blaue Leuchten des Hexenwaldes wahr. Dann lag Ilynrah unter ihr.
Meras Herz verkrampfte sich vor Schreck, als sie die Verwüstungen sah, die die Feuerkugeln der Gurrländer angerichtet hatten. Die Stadt lag in Trümmern, und was noch von dem Feuer verschont worden war, wurde ebenfalls abgerissen.
»Mera, was soll ich tun?«
Girdhans verzweifelter Ruf erreichte sie, als sie sich eben voller Wut auf den einstigen Steuerschätzer Berrell stürzen wollte, derim Auftrag der neuen Herren den Abriss des alten Ilynrah überwachte, um dort ein Spiegelbild der öden, staubigen Hauptstadt Gurrlands zu errichten.
»Was ist los, Girdhan?« Nur mühsam gelang es Mera, ihre Gedanken von Ilyndhir zu lösen. Sie spürte den festen Druck von Girdhans Hand und sah für einen Moment durch seine Augen.
Kompanieweise drängten gurrländische Gardisten mit Speeren und Doppeläxten in den Fäusten durch sämtliche Zugänge in die Halle. Einige hielten sogar seltsame Stangen in den Händen, die Mera durch ein Wissen, das nicht von ihr selbst kam, als Flammenlanzen erkannte.
Reodhilan und die überlebenden Runi hatten sich vor dem Feuerthron zusammengeschart und warteten mit grimmiger Entschlossenheit auf den Angriff, der für sie alle das Ende bedeuten würde.
»Halt!« Mera erschrak vor der Macht ihrer Stimme, die wie ein Donnerschlag von den Wänden des Saales widerhallte.
Die Gurrländer blieben stehen, starrten verwirrt zu ihr hinauf und schienen nicht zu wissen, was sie tun sollten. Schließlich kniete ihr Anführer nieder und beugte sein Haupt. »Was befehlt Ihr, Euer Glorifizienz?«
Erst in dem Augenblick begriff Mera, dass sie die neue Herrin des Feuerthrons geworden war, und sie spürte die Macht, die er ihr verlieh. Wenn sie wollte, konnte sie die Gurrländer im Saal mit einer einzigen Handbewegung zerquetschen und dieses Volk, das im Lauf seiner Geschichte die anderen Inseln zweimal unterjocht hatte, für ewige Zeiten ausrotten. Sie würden ihr für jedes Haus bezahlen, das sie in Ilynrah zerstört hatten, und für jeden Menschen, der durch sie gestorben war. Meras Zorn brodelte wie überkochendes Wasser, und erst ein schmerzhafter Griff an ihrem Oberarm hielt sie davon ab, ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen. Sie schüttelte sich und sah dann Girdhans besorgtes Gesicht vor sich.
»Geht es wieder?«, fragte er.
Mera schluckte und spürte, wie trocken ihr Mund war. Doch eswar nicht die Zeit, etwas zu trinken. Daher hob sie den Kopf und sah dem massigen Gurrlandoffizier in die Augen. In ihnen las sie die Qual, einem anderen Willen unterworfen zu sein, und verstand, dass er und seine Landsleute im Grunde nur Wassurams erste Opfer geworden waren. Sie zu vernichten erschien ihr plötzlich als großes Unrecht.
Mit einem erleichterten Lächeln sprach sie den Mann an. »Ja, ich habe Befehle! Ich habe Durst und würde gerne eine Tasse heißen Vla trinken. Vorher sage deinen Leuten, sie können in ihre Quartiere zurückkehren. Dies hier« – damit wies sie auf das Häuflein Runier vor sich – »sind keine Feinde, sondern Gäste, die ich eingeladen habe.«
»Wie Ihr befehlt, Euer Glorifizienz!« Der Gurrländer war zu sehr beeinflusst, um sich über die seltsame
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