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Der Feuerthron

Der Feuerthron

Titel: Der Feuerthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Worte, die sie so stark und mächtig nicht in Gedanken formulieren konnten. Das Wissen um das, was hier eben geschehen war, und die Tatsache, dass es überhaupt Gefangene gab, versank inden Tiefen ihres Gedächtnisses, so dass kein unbedachter Gedanke es einem anderen ihres Volkes verraten konnte. Auch sie selbst würden sich nur unter Mühen daran erinnern können und Bilder, die in ihnen hochstiegen, als Traumgebilde abtun.
    Als dies geschehen war, nickte die Anführerin ihren Begleitern zu und winkte ihnen, ihr zu ihrem eigenen Schiff zu folgen, das auf der anderen Seite der Insel am Ufer lag. Unterdessen löste sich die »Seeschäumer«, die bislang unter einem Unsichtbarkeitszauber gelegen hatte, vom Strand. Ihr Segel wurde wie von Geisterhand aufgezogen und füllte sich mit dem magischen Wind, den die Runierin beschworen hatte.
    Schon bald würde Kips Boot das Seegebiet der Runier verlassen haben, um hundert oder zweihundert Meilen weiter auseinanderzubrechen und in den Tiefen des Meeres zu versinken.
    Doch die »Seeschäumer« blieb nicht unbemerkt, denn sie kreuzte den Kurs eines nur halb so großen Schiffchens, das langsam vor der Insel dahinzog.
4
    Hekendialon dilan saß auf der Rückbank ihres Bootes und blickte nachdenklich auf die See hinaus. Sie hatte die Einsamkeit des Meeres gesucht, um ihren Gedanken freien Lauf lassen zu können, ohne dass jemand anderes sie auffing. Dabei hatte sie nichts zu verbergen, sondern wollte nur Ruhe vor unerbetenen Ratschlägen finden.
    Es war nicht leicht, jung und gleichzeitig die einzige ihrer Generation zu sein. Alle Runi, die sie kannte, waren um vieles älter als sie und hielten sich natürlich auch für weiser. Obwohl sie ihre erwachsenen Freunde und Bekannten mochte, war sie deren ständige Ermahnungen leid, ihre Gedanken und Worte besser im Zaumzu halten. Wie sollte sie das tun, wenn der Zorn sie übermannte und alles in ihr danach drängte, den Älteren Vorhaltungen zu machen?
    Die Einzige, die sie verstand, war ihre Mutter, doch auch sie schien längst vergessen zu haben, dass die Gedanken einer jungen Runi nicht nur vom Verstand, sondern auch von Gefühlen beherrscht wurden.
    »Ich soll nicht immer den Mund benutzen, sondern senden. Pah! Ich soll leiser denken. Pah!«, schimpfte sie vor sich hin und korrigierte den Kurs ihres Bootes ein wenig. Sie durfte nicht zu nahe an die Insel herankommen, weil Sianderilneh, die Cousine der Königin, mit mehreren Gefährten ganz plötzlich dorthin aufgebrochen war, um ein Picknick zu veranstalten. Vermutlich wollten sie mit ihren Gefolgsleuten aber nur einen Ort aufsuchen, wo sie unbelauscht von anderen Runi, die nicht zu ihrem Kreis gehörten, ihre Gedanken austauschen konnten. Sie selbst spürte kein Verlangen, die Gruppe zu belauschen, denn sie mochte Sianderilneh nicht und wollte ihr nicht zu nahe kommen.
    Mit einem Mal sah Hekendialondilan verblüfft auf. Sie spürte einen Zauber auf eng begrenztem Raum und sah durch den Nebel, der sich vor dem Bug ihres Bootes erhob, ein Schiff, das nicht von Runia stammen konnte. Es handelte sich um ein plumpes, altes Ding, das beinahe doppelt so lang war wie ihr eigenes Gefährt. Das blaue Segel, das von magischen Winden gefüllt wurde, verriet, dass der Kahn blauen Menschen gehörte. Das wunderte sie, denn Menschen wurden üblicherweise bereits zweihundert Meilen weiter draußen von den Schutzzaubern ihres Volkes ferngehalten. Schon Jahrhunderte vor ihrer Geburt, die allerdings erst dreihundert Jahre zurücklag, hatte kein Schiff, das nicht von Runi gebaut worden war, die innere See von Runia befahren.
    Hekendialondilan erinnerte sich an die beiden Menschen, die vor Kurzem von Sianderilnehs Untergebenen auf die Insel gebracht worden waren. Man hatte sie aus ihrer Heimat entführt, und ihreMutter hatte diese Angelegenheit eine Wahnsinnstat genannt. Dafür war sie von der Königin schwer gerügt worden. Sianderilneh, so hieß es, hatte auf die Weise verhindern wollen, dass die beiden Gefangenen, ein Magier und eine Hexe, den Schleier eines Geheimnisses lüfteten, der über Runia lag. Anscheinend hatte die Cousine der Königin ihre Spuren nur unzureichend verwischt, denn sonst wäre das Schiff dort vorne nicht vor Runia aufgetaucht. Die junge Runi fragte sich, ob die Leute, denen dieses Schiff gehörte, tatsächlich auf der Suche nach den Entführten gewesen sein konnten. Wenn es so war, besaßen die Menschen wesentlich größere Kräfte, als Sianderilneh und die meisten ihres Volkes

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