Der Finanzer
zur Stichprobe geöffnet
werden sollten. »Lächerlich!« knurrte der Herr, schloß aber die bezeichneten Koffer auf.
Sowohl Ribler wie der Oberaufseher waren überrascht, denn trotz der trüben Ölbeleuchtung in der Halle waren
sorgfältig verpackte, kostbare Seidenroben zu erkennen. Dem Assistenten entfuhr der Ausruf: »Das sollen getragene
Kleider sein?« Und blitzschnell erinnerte sich Ribler des von Wiener Konfektionsfirmen gewerbsmäßig
betriebenen Schleichhandels in Seidenroben.
»Jawohl!« lautete die Antwort.
Wieder beschaute der Assistent den kostbaren Inhalt dieser Koffer, und die weitere Frage lautet: »Enthalten die
übrigen Kolli gleichfalls solche Stoffe und Kleider?«
»Ja!«
Der Assistent war einen Moment unschlüssig. Der Fall ist nicht geheuer, zum mindesten zweifelhaft, sofern dieses
enorme Reisegepäck nicht einer hohen Herrschaft gehört. Um nun sicher und doch schonend gegen die nervöse
Partei vorzugehen, zugleich nach den bestehenden Vorschriften handelnd, frug Ribler höflich: »Darf ich mir
erlauben, Sie um Ihren werten Namen zu bitten?«
Die Erwiderung lautete erregt und abweisend. »Ich bin Reisender, und als solcher kann ich mitführen, was ich
will!«
»Verzeihen der Herr! Es handelt sich lediglich um die Frage, ob diese ersichtlich kostbaren Effekten auch dem
Stande, der Person und den Verhältnissen des Reisenden angemessen sind! Auf Grund meiner Dienstvorschriften muß
ich fragen und bitte um gefällige Angabe des Namens und Berufes!«
Zornig und verletzend lautete die Erwiderung: »Ich wohne in Wien, Schottenring Nr. 12, dort können Sie sich
erkundigen, wer wir sind!«
Lergetbohrer war nun überzeugt, daß ein Schleichhandelsversuch vorliege; der Assistent befand sich in einer
engen Klemme. Nichts deutet auf vornehme Abkunft der Reisenden, die Koffer sind keineswegs auffallend, etwa mit einer
Fürstenkrone oder dergleichen signiert, es fehlt die sonst bei hohen Herrschaften übliche Dienerschaft; die
Kleidung des Paares ist allerdings elegant, aber Berufsschmuggler sind ebenso gekleidet und pflegen erster Klasse zu fahren.
Ein böser Fall! Ribler erklärte die Antwort ungenügend und bestand auf Legitimation, sofern das Gepäck
mit dem Nachtpersonenzuge mitgehen solle.
Jetzt war die Geduld des Reisenden erschöpft; erregt donnerte er über diese Schikanen an der
österreichischen Grenze, die nirgends auf der Welt, selbst in Amerika, Australien und Afrika nicht vorkommen.
»Tut mir sehr leid! Ich erfülle nur meine Pflicht!«
»Und ich sage Ihnen, daß ich Beschwerde erheben werde. Erledigen Sie mein Gepäck nicht sofort, so werden
Sie die Folgen zu tragen haben. Sehr unangenehme Folgen!«
»Der Folgen bin ich mir bewußt, mein Herr! Ich ersuche zum letztenmal um Angabe Ihrer Adresse!«
»Fällt mir nicht ein! Aber ich werde mich bei Seiner Majestät dem Kaiser von Österreich
beschweren!«
Taktfest und unerschütterlich im Dienst erwiderte der Assistent: »Halt, mein Herr! Ich verbiete Ihnen, die
Person unseres gnädigsten Monarchen in den Dunstkreis einer Zollabfertigung herabzuziehen!«
»Was? Sie niedriger Mensch! Sie wollen mir etwas verbieten? Jetzt befehle ich Ihnen, mein Gepäck augenblicklich
zollfrei nach Wien abzufertigen!«
Lergetbohrer ward irre; der Assistent fühlte, wie sein Blut anfing rebellisch zu werden. Um das Paar bildete sich
eine Gruppe von Reisenden und Bahnbediensteten, die mit gespanntester Neugierde der Entwickelung dieses Konfliktes
entgegensah.
Ribler erklärte: »Sie haben mir gar nichts zu befehlen! Ich bin hier im Dienst und warne Sie vor jeder
Berufsbeleidigung!«
»Augenblicklich erledigen Sie die Sache, oder ich telegraphiere nach Wien!« »Erstes Zeichen zum
Einsteigen. Personenzug in der Richtung nach Feldkirch-Landeck-Innsbruck-Salzburg-Wien!« rief der Stationsportier in
die Revisionshalle.
Krachend warf der rabiat gewordene Reisende die Kofferdeckel zu und schloß die zwei Kolli ab.
»Das sollen Sie mir büßen, Sie Flegel!«
Ribler ignorierte diese Beleidigung und proponierte dem erregten Paare als einzigen Ausweg, der noch übrig bleibt, da
die Reisenden die Namensangabe verweigern: »Wenn Sie wollen, überweise ich das Gepäck im Ansageverfahren an
das Hauptzollamt Wien und lasse die Kolli bahnamtlich instradieren. Dort können Sie unter entsprechender Legitimation
Ihr Gepäck in Empfang nehmen, falls Sie in Wien Ihren Namen lieber nennen wollen.«
»Unerhört! Empörend! Ein Skandal
Weitere Kostenlose Bücher