Der Findling
verglich den traurigen Vorfall nur noch mit dem großen Brande Londons, an den die »Feuersäule«, die einige Schritte von der London-Bridge aufragt, noch erinnert.
Natürlich wurde bei diesen Besuchen auch des Kindes nicht vergessen, was der Miß Anna Walston herzliche Freude bereitete. Und doch kam ihr der Gedanke, daß der Kleine, wenn auch nicht so gehegt und gepflegt, doch schon geliebt worden sein möge. Eines Tages fragte dieser nämlich:
»Wo ist denn Grip?
– Wer ist denn Grip, mein Babish?« antwortete Miß Anna Walston.
Jetzt erfuhr sie erst etwas über Grip Ohne ihn wäre der kleine Knabe in den Flammen umgekommen. Das war schön, war lobenswerth von diesem Grip. Sein Heroismus aber – man liebte dieses Wort für seine That – konnte doch das Verdienst nicht schmälern, das der gefeierten Künstlerin bei diesem Rettungswerke zukam. Wenn sich die vortreffliche Frau nun nicht an der Brandstelle befunden hätte, was wäre da aus dem kleinen Burschen geworden? In welche Höhle hätte man ihn mit den andern Taugenichtsen der Lumpenschule eingepfercht?
In der That hatte sich bisher niemand um Grip bekümmert und keiner verlangte danach, etwas von ihm zu hören. Auch der kleine Knabe würde ihn schließlich vergessen und nicht mehr von ihm sprechen. Das war jedoch ein Irrthum; nie verblich in seinem Herzen das Bild dessen, der ihn ernährt und beschützt hatte.
Dem Adoptivkinde der Schauspielerin fehlte es jetzt auch nicht an Unterhaltung und Zerstreuung jeder Art. Er begleitete Miß Anna Walston bei ihren Spazierfahrten und saß neben ihr im Wagen, wenn jene durch die schönsten Theile von Limerick zu der Stunde fuhr, wo die feinere Welt sie sehen konnte. Dazu putzte sie den Knaben in jeder Weise heraus, so daß er einmal in schottischer Nationaltracht, einmal als Page und dann wieder als phantastischer Schiffsjunge erschien. Er vertrat fast die Stelle eines Schoßhündchens der Schauspielerin, die ihn, wenn er klein genug gewesen wäre, in ihren Muff gesteckt hätte, um nur dessen krauslockigen Kopf herausgucken zu lassen. Gelegentlich durchstreiften beide auch die Stadt oder lustwandelten bis zu den Badeplätzen von Kilkree mit ihren großartigen Uferfelsen an der Küste von Clare und nach Miltow-Malbay mit seinen gefährlichen Klippen, woran einst ein Theil der unbesiegbaren Armada zerschellte. Dabei stellte die glückliche Pflegemutter den kleinen Knaben immer nur als den »aus den Flammen geretteten Engel« vor.
Einige Male führte man ihn auch ins Theater, wo er – mit Handschuhen angethan! – in einer Loge des ersten Ranges unter dem strengen Auge Elisas thronte, sich kaum zu rühren wagte und bis zum Schluß der Vorstellung… nur gegen das Einschlafen ankämpfte.
Schon nach kurzer Unterhaltung. (S. 70.)
Natürlich ohne Verständniß für die Schauspiele selbst, hielt er doch alles, was er sah, für die reine Wahrheit. Wenn Miß Anna Walston einmal im Prunke einer Königin erschien, dann wieder als Frau aus dem Volke oder gar als in Lumpen gekleidete Bettlerin, so konnte er gar nicht glauben, daß sie es war, die er im Royal-George-Hôtel wiedertraf. Das verwirrte seine kindliche Phantasie; er wußte nicht mehr, was er denken sollte. Er träumte davon in der Nacht, als spänne sich das seltsame Schauspiel weiter fort, und dann keuchte er unter schwerem Alpdrücken, wobei der Puppenschausteller, der bösartige Carker und die andern Schlingel aus der Lumpenschule eine Rolle spielten. Und wenn er dann schweißdurchnäßt erwachte, wagte er nicht zu rufen….
Die großartigen Uferfelsen von Clare. (S. 71.)
Die Irländer sind leidenschaftliche Liebhaber allen Sports, vorzüglich der Pferderennen.
Auch jener Zeit strömte nach Limerick einmal aus gleicher Ursache die ganze »Gentry« der Umgebung zusammen, ihr schlossen sich die Landleute an, die ihre Höfe verließen, und sogar die Aermsten jeder Art, denen es nur gelungen war, sich einen Schilling oder halben Schilling abzusparen, um diesen auf ein Pferd zu verwetten.
Der Findling wurde ebenfalls zu diesem Feste mitgenommen, aber geschmückt, saß er schon mehr einem Blumenstrauß glich, den Miß Anna Walston von ihren Freunden bewundern, ja fast auffangen ließ.
Die Künstlerin war etwas extravaganter Natur, doch gut und wohlthätig, wo sie das wenigstens in mehr Aufsehen erregender Weise bethätigen konnte. Waren die Zärtlichkeiten, womit sie das Kind überhäufte, sichtlich theatralischer Art und glichen die ihm
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