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Der Findling

Der Findling

Titel: Der Findling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Jahren….
    – Zugegeben, Elisa, in fünfzehn Jahren, doch ich sage Dir, in fünfzehn Jahren wird er der reizendste junge Mann sein. Alle Frauen werden…
    – Vor Eifersucht umkommen, fiel Elisa ein. Das kenne ich schon. Doch, Miß Anna, wollen Sie meine aufrichtige Meinung hören?
    – Nun, und die wäre?…
    – Aus diesem Kinde wird im Leben kein Schauspieler werden.
    – Ja, warum denn nicht?
    – Weil der Junge zu ernsthaft ist.
    – Das ist wohl wahr, gab Miß Anna Walston zu, doch… wir werden ja sehen….
    – Und Zeit genug haben wir dazu, Miß Anna!«
    Gewiß war’s dazu Zeit genug, und wenn der Findling dann, trotz der Vermuthung Elisas, Neigung für das Theater zeigte, war ja alles gut.
    Inzwischen kam der Miß Anna Walston ein herrlicher Gedanke, wie solche ihr ganz ausschließlich eigen zu sein schienen: sie wollte das Kind baldigst auf der Bühne von Limerick einmal auftreten lassen.
    Wenn der und jener das auch als eine wahnsinnige Idee verurtheilen mochte, so zeigte sich doch, daß dieses »einzige Auftreten«, wie die Placate ankündigten, von ganz bedeutender Wirkung zu sein versprach.
    Miß Anna Walston studierte jetzt aufs neue ein »Rührstück mit Knalleffecten« ein, wie solche im englischen Repertoire gar nicht selten sind. Dieses Drama, richtiger Melodrama, mit dem Titel »Die Reue einer Mutter«, hatte bereits einer ganzen Generation Thränen genug entlockt, um die Flüsse des Vereinigten Königreichs damit speisen zu können.
    In diesem Stücke des Dramaturgen Furpill kam, wie allemal, eine Kinderrolle vor – ein Kind, das die Mutter nicht hatte behalten können, das sie ein Jahr nach seiner Geburt verlassen mußte, während sie es später elend wiederfand und man es ihr aufs neue rauben wollte u. s. w.
    Selbstverständlich war das eine stumme Rolle. Der kleine Figurant, der sie spielte, hatte nur alles mit sich geschehen, sich umarmen, küssen, an einen Mutterbusen drücken und sich hierhin und dorthin zerren zu lassen, ohne je ein Wort zu sprechen.
    Unser Held schien zu einer solchen Rolle ja wie geschaffen. Er hatte das richtige Alter und die passende Größe, dazu ein bleiches Gesichtchen mit Augen, die gar oft geweint hatten. Welcher Effect, wenn man ihn auf der Bühne sähe und hier gerade mit seiner Adoptivmutter! Mit welcher Begeisterung, welchem Feuer würde diese die fünfte Scene des dritten Actes spielen, die große Scene, in der sie das Kind vertheidigt, das man ihr wieder entreißen will! Hier kamen ja die thatsächlichen Verhältnisse den erdichteten zu Hilfe. Dabei entrang sich der Künstlerin unzweifelhaft ein aufrichtiger Schmerzensschrei und vergoß sie gewiß wirkliche Thränen… kurz, es winkte ihr ein Triumph ohne Gleichen.
    Die Vorbereitungen nahmen ihren Anfang und der kleine Knabe mußte den letzten Proben beiwohnen.
    Das erste Mal erstaunte er ungemein über alles, was er da sah und hörte. Miß Anna Walston nannte ihn wohl, gemäß dem Texte der Rolle, »mein Kind«, es schien ihm aber, als ob sie ihn nicht so innig wie sonst umschlänge und keine Thränen vergösse, wenn sie ihn an ihr Herz zog. Wozu auch weinen bei Theaterproben? Wozu die Augen abnutzen? Dazu war’s bei der Aufführung Zeit genug.
    Auf den kleinen Knaben machte übrigens alles einen tiefen Eindruck… die sperrigen Gestelle der Coulissen, die etwas feuchtmodrige Luft, der große, leere Zuschauerraum, in den nur kleine Fenster über der höchsten Gallerie wenig Licht eindringen ließen, das Ganze sah so traurig aus, wie ein Haus mit einem Todten darin. Immerhin that Sib – so hieß der Kleine in dem Stücke – was man von ihm verlangte, und Miß Anna Walston prophezeite ihm schon den schönsten Erfolg… und sich natürlich mit.
    Vielleicht wurde diese Zuversicht nicht allgemein getheilt. Der Künstlerin fehlte es ja, vor allem unter den Colleginnen, nicht an Neidern. Sie hatte diese verletzt durch ihre eigenwillige Persönlichkeit, ihre Launen, gewiß ohne Absicht und ohne daß sie es merkte, und wer hätte ihr das auch mittheilen sollen? Jetzt erklärte sie nun, eine Folge der Erregbarkeit ihres Temperaments, gar noch, der Kleine, der jetzt kaum so hoch wie ein Ritterstiefel war, werde noch einen Kean, einen Macready und andre Größen der heimischen Bühne ausstechen. Das ging doch über alles Maß hinaus.
    Endlich kam der Tag der ersten Aufführung.
    Es war am 19. October, an einem Donnerstage. Miß Anna Walston befand sich natürlich in hochgradiger Aufregung. Einmal ergriff sie

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