Der Findling
wurde. Ihn beunruhigte das mehr und mehr, denn es schien ihm, als wenn eine Fee jene phantastische Veränderung vor seinen Augen durchführte.
Dann tönte die Stimme des Inspicienten bis zur Garderobe herauf, eine Stentorstimme, die ihn erzittern machte, und die »Magd« gab ihm ein Zeichen mit der Hand und sagte:
»Nun, aufgepaßt, Findling, jetzt kommst Du bald dran.«
Damit stieg auch sie nach der Bühne herunter.
Zweiter Act: Die Magd erntet den gleichen Beifall, wie die Herzogin im ersten, und der Vorhang muß unter dreifachem Applaus ebenso viele Male wieder aufgezogen werden.
Den »guten Freundinnen« und deren getreuen Schildknappen fehlte es demnach an Gelegenheit, sich an Miß Walston zu reiben.
In ihrer Garderobe warf sich diese etwas ermüdet auf ein Sopha, obgleich sie ihren höchsten dramatischen Triumph erst im folgenden Acte ausspielen wollte.
Noch einmal wechselte sie das Costüm; jetzt verwandelt sie sich aus der Magd wieder zur Dame, zu einer etwas weniger jugendlich erscheinenden Dame in Trauer, denn zwischen dem zweiten und dritten Aufzuge liegen fünf Jahre.
Regungslos in seiner Ecke macht der kleine Knabe große Augen, ohne ein Wort zu äußern. Die etwas angegriffene Miß Anna Walston beachtet ihn zunächst nicht weiter.
Nach Beendigung ihrer Toilette beginnt sie:
»Nun, Kleiner, nun kommst Du auf die Bühne.
– Ich, Miß Anna?…
– Weißt Du denn noch, daß Dein Name da »Sib« ist?
– Sib?… Ja wohl.
– Elisa, schärfe ihm ja noch einmal ein, daß er Sib heißt, bis zum Augenblicke, wo Du ihn dem Regisseur neben der Thür zuführst.
– Gewiß, Miß Anna.
– Und daß er nur das Stichwort nicht verfehlt! Du weißt übrigens, wendete die Künstlerin sich, mit den Finger drohend, an den Knaben, Du weißt, daß Dir sonst Deine Guinee wieder genommen wird. Also Achtung vor der Geldbuße….
– Und vor dem Gefängniß!« setzte Elisa dazu, ihn mit strengem Blicke musternd.
Genannter Sib sah nach, ob die Guinee, die er sich schon nicht wieder abnehmen lassen würde, noch in seiner Tasche war.
Jetzt kam der große Moment. Elisa faßte ihn an der Hand und ging mit ihm nach der Bühne hinunter.
Sib war anfänglich ganz verwirrt durch die vielen Flaschenzüge und Seile, wie über die von allen Seiten strahlenden Gasflammen und das Durcheinander von Figuranten und Schauspielern, die ihn lächelnd betrachteten.
Der arme Kleine schämte sich wirklich in seiner zerfetzten Hülle.
Endlich ertönte das Zeichen zum Anfang.
Sib zitterte, als hätten die Glockenschläge seinen Rücken getroffen.
Der Vorhang rauschte empor.
Die Herzogin von Kendalle war allein auf der Bühne und sprach in der eine ärmliche Hütte darstellenden Decoration einen Monolog. Bei einem gewissen Stichworte sollte sich die Thür im Hintergrunde öffnen, ein Kind eintreten, auf sie zugehen und bittend die Hand ausstrecken; in diesem Kinde sollte sie das ihrige erkennen.
Hier sei erwähnt, daß der Findling schon bei den Proben immer sehr betrübt darüber war, daß er um ein Almosen betteln sollte, wogegen sich sein natürlicher Stolz ja bereits in der Lumpenschule auflehnte. Miß Anna Walston hatte ihm zwar wiederholt erklärt, daß es sich hier nicht um ein wirkliches Betteln handelte, das beruhigte ihn jedoch noch nicht. In seiner Naivität nahm er die suchen für Ernst und glaubte schließlich wirklich, daß er der unglückliche kleine Sib sei.
In Erwartung seines Auftretens und während ihn der Regisseur an der Hand hielt, lugte er durch die nur angelehnte Thür. Mit größter Verblüffung durchflogen seine Augen den gefüllten Zuschauerraum, der wie in einem Lichtmeer gebadet erschien, theils von den Girandolen der einzelnen Ränge und theils von dem großen, einem feurigen Ballon ähnlichen Kronleuchter. Das war ein so ganz andres Bild, als er es bei seinen wenigen Theaterbesuchen von der Loge aus gesehen hatte.
Da raunte der Regisseur ihm zu:
»Achtung, Sib!
– Ja, ja, Herr….
– Du weißt… Du gehst grade auf Deine Mama zu. Hüte Dich, nicht etwa zu fallen.
– Ich werde mich vorsehen.
– Und strecke hübsch die Hand aus…
– Ja, nicht wahr, so hier?«
Er zeigte dabei eine fest geschlossene Hand.
»Nein, Dummkopf!… Du machst ja eine Faust und mußt doch die Hand offen hinhalten, wenn Du um eine Gabe bittest….
– Ach ja, Herr….
– Und vor allem, sprich kein Wort… keine Silbe!
– Nein, Herr….«
Die Thür der Hütte öffnete sich und der Regisseur schob den
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