Der Findling
aber:
»Laßt ihn doch sich erst erklären!
– Freilich, meinte die Großmutter. Sag’ uns frei heraus, was Du verdienen willst. Baares Geld?…«
Der Findling schüttelte den Kopf.
»Nun… vielleicht eine Krone für den Tag? sagte Kitty.
– Ach nein, Frau Kitty.
– Oder monatlich so viel?… fuhr die Pächtersfrau fort.
– Frau Martine!…
– Also wohl jährlich? meinte Sim, laut auflachend. Eine ganze Krone Jahreslohn….
– Nun, was willst Du denn, lieber Junge? begann Murdock wieder. Ich begreife, daß Du Dir Deinen Lebensunterhalt verdienen willst, ganz wie wir. So wenig man auch empfängt, es sammelt sich endlich doch. Was willst Du also?… Einen Penny… einen Copper täglich?…
– Nein, Herr Murdock!
– So erkläre Dich doch!
– Nun, Herr Martin, Sie geben mir jeden Abend einen Kieselstein…
– Was? Einen Kiesel? rief Sim überrascht. Willst Du Schätze in Kieseln sammeln?…
– Nein… doch es wird mir Vergnügen machen, und nach Jahren einmal, wenn ich groß bin und Sie mit mir zufrieden waren…
– Richtig, Findling, fiel Martin ein, da vertauschen wir Deine Kieselsteine mit Pence oder Schillingen!«
Alle lobten den Kleinen wegen seiner guten Idee, und noch an demselben Abend gab ihm Martin einen Kiesel aus dem Bette des Cashen, der an solchen unerschöpflich war. Der Kleine aber legte ihn in einen alten Steinguttopf, den die Großmutter ihm als Sparbüchse zugewiesen hatte.
»Ein sonderbares Kind!« sagte Murdock zu seinem Vater.
Gewiß, doch dessen gute Natur hatte keinen Schaden erlitten, weder durch die herzlose Behandlung Thornpipe’s, noch durch die schlechten Beispiele in der Lumpenschule. Als die Pächterfamilie ihn im Laufe einiger Wochen näher kennen lernte, traten seine natürlichen Eigenschaften nur noch mehr zutage. Ihm fehlte nicht einmal die Heiterkeit, der Grundzug des Nationalcharakters, den man in Irland auch bei den ärmsten Leuten ausgeprägt findet. Dann gehörte er auch nicht zu dem Schlage von Jungen, die den ganzen Tag lang nur herumlungern, deren Augen hierhin und dahin gehen, da sie durch jede Fliege, jeden Schmetterling abgelenkt werden. Immer sah man ihn überlegt, stets sachte er den suchen auf den Grund zu gehen und sich durch Befragung andrer zu unterrichten. Seinen Blicken entging auch nicht das geringste. Er hob jede Stecknadel ebenso auf, wie er einen Schilling aufgehoben hätte. Seine Kleidung hielt er stets reinlich und alles in musterhafter Ordnung. Der Sinn für diese war ihm angeboren. Er antwortete höflich, wenn man ihn fragte, und ließ sich jede erhaltene Antwort erklären, wenn er sie nicht ganz verstanden hatte. Gleichzeitig machte er im Schreiben sichtliche Fortschritte. Das Rechnen schien ihm sehr leicht zu fallen und dabei gehörte er nicht zu den frühreifen Wunderkindern die später so oft nicht halten, was sie versprachen; er brachte aber Berechnungen im Kopfe fertig, bei denen viele andre zur Feder gegriffen hätten. Zu seinem wahrhaften Erstaunen erkannte Murdock auch, daß der Kleine sich bei allen Handlungen nur von seiner hochentwickelten Vernunft leiten ließ.
Dank den Lehren der Großmutter eignete er sich auch schnell die Gebote der Religion an, wie sie die katholische Lehre vorschreibt und die alle tief im Herzen jedes Irländers wurzeln. Jeden Tag verrichtete er sein Morgen-und sein Abendgebet mit aufrichtiger Innigkeit.
Der Winter verstrich – ein sehr kalter Winter mit vielen Stürmen, die oft erschreckend durch das Thal des Cashen brausten. Ost fürchtete man, daß die Strohdächer abgerissen oder daß die Lehmwände nicht Stand halten würden. Von dem Middleman John Eldon Reparaturen zu verlangen, wäre ganz nutzlos gewesen. Martin Mac Carthy und seine Kinder mußten sich eben selbst zu helfen suchen. Neben dem Ausdreschen des Getreides nahm sie das am meisten in Anspruch: hier war ein Stück Strohdach wieder herzustellen, dort eine Mauer zu dichten und an vielen Stellen die Einfriedigung zu stützen.
Inzwischen arbeiteten die Frauen in verschiedener Weise; die Großmutter spann fleißig in der Nähe des Kamins, Martine und Kitty besorgten die Ställe und den Geflügelhof, wobei sie der Findling nach Möglichkeit unterstützte. Er achtete genau auf alles, was den Betrieb der Wirthschaft anging. Zu jung, um schon mit Pferden umzugehen, hatte er mit einem grauen Langohr, einem gutmüthigen Thiere, fast Freundschaft geschlossen, die dieser ihm erwiderte. Er wollte, daß sein Esel ebenso sauber aussähe,
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