Der Findling
wie er selbst, was ihm Martines besondre Anerkennung einbrachte. Bei den Schweinen wäre das freilich ein vergebliches Bemühen gewesen, so daß er darauf von vornherein verzichtete. Die Zahl der Schafe hatte er, nach sorgfältiger Feststellung derselben – mit 103 – in ein altes von Kitty erhaltenes Notizbuch eingetragen. Seine Neigung für eine solche Buchführung trat immer mehr hervor, und man hätte glauben können, daß ihm O’Bodkins in der
Ragged-School
diese übererbt habe.
Seine Peinlichkeit darin trat besonders hervor, als Martine eines Tags einige von den für den Winter aufbewahrten Eiern holen wollte.
Die Pächterin nahm etwa zwölf ohne Wahl heraus, als der Findling ihr zurief:
»Nicht diese, Frau Martine!
– Diese nicht?… Warum denn nicht?
– Weil dadurch die gehörige Ordnung gestört würde.
– Welche Ordnung?… Sind denn diese Hühnereier einander nicht ganz gleich?
– Gewiß nicht. Sie haben das achtundvierzigste genommen, wo Sie beim siebenunddreißigsten hätten anfangen sollen. Sehen Sie nur hin.«
Wirklich entdeckte Martine da, daß jedes Ei eine Nummer auf der Schale trug, eine Nummer, die der kleine Knabe mit Tinte darauf geschrieben hatte. Da die Farmersfrau zwölf Eier haben wollte, mußte sie sie der Reihe nach entnehmen, d. h. vom siebenunddreißigsten bis mit dem achtundvierzigsten, nicht aber die Nummern achtundvierzig bis mit neunundfünfzig. Das that sie denn auch, nachdem sie das Knäblein für seinen Ordnungssinn belobt hatte.
Als sie die Sache beim Frühstück erwähnte, schlossen sich alle diesem Lobspruche an und Murdock fragte:
»Findling, hast Du denn auch die Hennen und die Küchlein im Hühnerstalle gezählt?
– O, gewiß!«
Damit zog er sein Notizbuch heraus.
»Es sind dreiundvierzig Hühner und neunundsechzig Küchlein darin.«
Darauf konnte sich Sim nicht enthalten zu bemerken:
»Du solltest auch zählen, wie viele Haferkörner in jedem Scheffel stecken….
– Scherzt darüber nicht! fiel Martin Mac Carthy ein. Das beweist, daß er Ordnung hält, und Ordnung im Kleinen bedeutet erst recht auch Ordnung im Großen und im ganzen Leben.«
Dann wendete er sich an das Kind.
»Und Deine Kiesel, fragte er, die Steine, die ich Dir jeden Abend gebe?…
– Die liegen in der Kruke, Herr Martin; ich habe schon siebenundfünfzig
– O, sagte die Großmutter lächelnd, das wären ja für ebenso viele Tage bereits siebenundfünfzig Pence, den Stein einen Penny gerechnet.
– He, Kleiner, scherzte Sim, für das Geld könntest Du Dir aber eine Menge Kuchen kaufen.
– Kuchen, Sim?… Ach nein, da würd’ ich schöne Schreibhefte vorziehen!«
Das Ende des Jahres nahte heran. Auf den stürmischen November folgte eine sehr harte Kälte. Eine dichte Lage gefrorenen Schnees bedeckte die Erde, und für den Knaben war es ein entzückendes Bild, die Bäume im Schmuck des Reifs und da und dort mit glitzernden Eiszapfen zu sehen. Auf den Scheiben der Fenster schlug sich die Feuchtigkeit in formenreichen Krystallen nieder, die hübsche Zeichnungen bildeten. Dazu war der Fluß ganz zugefroren und auf ihm lagerten übereinander gethürmt massige Schollen. Diese Winterbilder waren für ihn zwar nichts neues, denn er hatte sie auf den Landstraßen von Galway bis Claddagh wiederholt gesehen. Zu jener traurigen Zeit trug er aber kaum etwas auf dem Leibe und watete mit nackten Füßen durch den Schnee. Da thränten ihm die Augen und seine Hände wurden ihm rissig. lind wenn er dann in die Lumpenschule zurückkam, gab’s für ihn kein Plätzchen am Ofen.
Wie glücklich fühlte er sich dagegen jetzt. Wie zufrieden verbrachte er seine Tage bei diesen einfachen Leuten, die ihn aber liebten! Fast schien es, als ob deren Zuneigung ihn noch mehr erwärmte, als seine Kleider, die ihn vor der eisigen Zugluft schützten, als die gesunde Nahrung, die auf den Tisch kam, mehr als die lodernden Flammen im Kamin. Jetzt, wo er sich schon etwas nützlich machte, fühlte er sich wie zum Hause gehörig. Hier hatte er eine Großmutter, eine Mutter, Brüder, Eltern…. Bei ihnen, so dachte er, wollte er sein ganzes Leben verbringen. Hier wollte er sich seinen Unterhalt verdienen, das war und blieb sein einziger Gedanke.
Wie freute er sich, zum ersten Male an dem Feste theilzunehmen, das im irischen Kirchenjahre fast als das heiligste gefeiert wird.
Es war der 25. December, Weihnachten, die Christmas. Der Findling wußte schon, welchem historischen Ereignisse die Feier galt, die alle
Weitere Kostenlose Bücher