Der Findling
bleiben… er konnt’ es nicht!
Sich die Hände aufscheuernd und die Nägel verletzend, gelang es ihm, die Erde vor der Thür aufzuwühlen, die Steinschicht wegzuschaffen, die deren Pfosten trugen, und ein Loch auszuweiten, durch das er sich zwängen konnte.
»Komm… komm! rief er zum letzten Male.
– Nein, ich will nicht! erklärte Sissy. Sie würde verlassen sein; ich will nicht!«
Findling warf sich ihr an den Hals und herzte und küßte sie. Dann kroch er durch die Oeffnung, verschwand und ließ Sissy allein bei der Todten zurück.
Einige Tage nachher fiel das umherirrende Kind dem Puppenschausteller in die Hände, und der Leser weiß, was da aus ihm wurde.
Zwölftes Capitel.
Die Heimkehr.
Zur Zeit fühlte sich Findling glücklich und hielt es für unmöglich, das je noch mehr sein zu können. Er ging völlig in der Gegenwart auf, ohne an die Zukunft zu denken. Die Zukunft ist ja schließlich auch weiter nichts als eine Gegenwart, die sich von einem Tage zum andern erneut.
Manchmal tauchten wohl die Bilder der Vergangenheit in ihm auf. Da gedachte er des kleinen Mädchens, die mit ihm bei der garstigen Frau gewohnt hatte. Sissy mußte jetzt etwa elf Jahre zählen. Doch was aus ihr geworden oder ob sie gar gestorben war, das wußte er nicht. Jedenfalls hoffte er, sie einst noch wiederzusehen. Er war ihr ja so viel Dank für ihre Liebe schuldig, und bei seinem Bedürfnisse, sich an die, die ihn geliebt hatten, anzuschließen, sah er im Geiste in ihr nur eine Schwester.
Doch auch den guten Grip umfaßte er mit derselben Dankbarkeit. Seit dem Brande der
Ragged-School
von Galway waren jetzt sechs Monate verflossen, während der Findling so vielfach der Spielball des Zufalls gewesen war. Grip würde doch nicht etwa gestorben sein? O nein, so brave Herzen hören nicht auf zu schlagen. Leute wie Thornpipe und die Hard, diese könnten ohne Bedauern zu erregen von der Erde scheiden, leider aber verdirbt Unkraut so leicht nicht.
Natürlich hatte der Findling auf der Farm zuweilen von seinen ehemaligen Freunden gesprochen und hier in allen ein gewisses Interesse für jene geweckt.
Martin Mac Carthy veranlaßte Nachforschungen über jene, die leider keinen weiteren Aufschluß über Sissy lieferten, als daß auch diese aus dem Dorfe Rindok verschwunden war.
Bezüglich Grips hatte man von Galway eine Antwort erhalten. Der arme Bursche hatte, nachdem seine Wunden kaum geheilt waren, aus Mangel an Beschäftigung die Stadt verlassen und irrte jetzt wahrscheinlich Arbeit suchend im Lande umher. Findling empfand es recht schmerzlich, so glücklich zu sein, während es Grip jedenfalls nicht war. Martin selbst nahm regen Antheil an Grip und hätte diesen so gern im Pachthofe als nützlichen Helfer mit aufgenommen, wenn er nur wußte, wo jener zu finden wäre. Sein Schicksal blieb zunächst aber unenthüllt, und vorläufig mußten sich die beiden früheren Insassen der Lumpenschule mit der Hoffnung auf ein zufälliges, späteres Wiedersehen trösten.
In Kerwan führte die Familie Mac Carthy ein regelmäßiges arbeitsvolles Leben. Die nächsten Pachtgüter lagen zwei bis drei Meilen von hier entfernt. Unter den Pächtern inmitten dieser dünn bevölkerten Gebiete des unteren Irlands kann von einer Nachbarschaft kaum die Rede sein. Tralee, der Hauptort der Grafschaft, lag auch ein Dutzend Meilen weit entfernt, und Martin und Murdock begaben sich nur dahin, wenn ihre Geschäfte an Jahrmarktstagen sie dazu nöthigten.
Die Farm gehört zur Kirche von dem fünf Meilen entfernten Silton, einem Dorfe mit etwa vierzig Häusern und kaum hundert rund um die Kirche angesiedelten Bewohnern. Des Sonntags begaben sich die Frauen zu Wagen, die Männer von der Farm zu Fuß nach der Frühmesse. Ihres Alters wegen vom dortigen Geistlichen vom Kirchenbesuch dispensiert, blieb die Großmutter, außer an den hohen Festen, zu Weihnachten, zu Ostern und zu Mariä Himmelfahrt, meist im Hause zurück.
In der Kirche von Silton erschien der Findling jetzt in höchst anständiger Tracht. Das war nicht mehr das Kind in Lumpen, das durch die Thür der Hauptkirche von Galway schlüpfend sich hinter den Pfeilern versteckte. Jetzt fürchtete der Knabe nicht mehr hinausgejagt zu werden, er zitterte nicht mehr vor dem strengen langen Schwarzrock, den weißen Lätzchen und dem langen Stabe – deren Vereinigung den Kirchendiener der Parochie bildete. Jetzt hatte er seinen Platz auf der Bank neben Martine und Kitty, er lauschte dem frommen Gesange und
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