Der Finger Gottes
daß Macht und Geld alles vermögen. Und wenn ich sage
alles,
dann meine ich auch
alles!
« Er drehte sich um, stützte die Hände auf das Fensterbrett. »Wir werden sie finden. Sie können nicht auf ewig untertauchen und sich vor uns verstecken. Sollten Sie noch in Waldstein sein, was ich allerdings bezweifle, dann habenwir sie spätestens bis heute abend. Wenn nicht, dann dauert es nur ein paar Tage, bis unsere Leute sie ausfindig gemacht haben. Und was immer sie wem immer sagen, wir werden es dementieren. Bis jetzt hat uns noch jeder aus der Hand gefressen. Außerdem – weder Sarah noch Csilla haben die geringste Ahnung, daß Höllerich nicht mehr lebt. Sarah kennt ihn ja nicht einmal, höchstens, wenn Csilla von ihm geredet hat. Er ist verschwunden, mehr nicht. Und Maria Olsen kann nichts mehr ausplaudern. Also, ihr seht, es besteht absolut kein Grund zur Panik.«
Jonas beruhigte sich allmählich, in Victors versteinertem Gesicht rührte sich keine Miene. Es klopfte an der Tür. Victors Frau Margrit stand zwischen Tür und Angel und fragte: »Störe ich?«
»Du störst immer, aber du darfst trotzdem reinkommen«, sagte Jonas kalt. »Letztendlich geht es auch um deine Tochter.«
Margrit, eine große, schlanke schwarzhaarige Frau, die täglich aufs neue versuchte, ihre tief eingegrabenen Falten durch ein Übermaß an Make-up zu vertuschen, trat ins Zimmer. Sie mußte einmal eine schöne Frau gewesen sein, jetzt war ihr Blick trübe, die Bewegungen leicht schwankend, die Lippen viel zu grell geschminkt, die vom vielen Trinken mit lauter feinen roten Äderchen durchzogene Gesichtshaut mit zuviel Puder bedeckt. Dazu dunkler, dikker Lidschatten, der ihren Augen etwas Aufdringliches, fast Dämonisches verlieh. Ihre knöchernen Finger zitterten, ihre Augen irrten nervös durch das Zimmer.
»Du hast wieder getrunken!« schnauzte Jonas sie an.
»Es wäre besser, wenn ich etwas zu trinken bekäme, als daß ich das alles mit klarem Verstand erleben muß. Mein Gott, was wird bloß noch alles passieren?!«
»Komm, hör doch auf! Als wenn du während der letzten zwanzig Jahre auch nur einen einzigen Tag bei klaremVerstand gewesen wärst! Also tu nicht so, als würdest du die Bedeutung von nüchtern kennen!«
»Du wirst schon wieder ausfällig, Jonas!« ermahnte ihn Martin. »Für einen Mann, der in Zukunft dieses Land würdevoll regieren und repräsentieren will, bist du noch viel zu impulsiv. Du hast noch eine Menge zu lernen, aber du hast nicht mehr viel Zeit dazu. Also beherrsch dich und fang am besten gleich damit an. Legst du eigentlich bei deiner Bald-Ehefrau auch diese Unbeherrschtheit an den Tag? Du weißt, Skandale können wir oder besser du uns nicht mehr leisten.«
»Arschloch!«
Martin reagierte nicht darauf.
»Daß mich dieses gottverdammte Nest eines Tages in solche Schwierigkeiten bringen würde, hätte ich nie für möglich gehalten!«
»Sag mal, du hast doch nicht etwa Angst?« fragte Martin anzüglich.
»Ich und Angst?« Jonas lachte übertrieben laut. »Nein, ich habe keine Angst. Ich hatte noch nie welche.«
»Na also. Dann kannst du ja auch kühl und systematisch überlegen, wo sie sein könnten. Kennt ihr irgend jemanden, der ihnen Unterschlupf gewähren würde?«
»Nein.«
»Nein.«
»Nein.«
»Wenn sie bei Engler oder Reuter oder Phillips wären, wüßten wir das längst. Auch Obert oder Pickard hätten uns sofort benachrichtigt.«
»Und was ist mit Buchner und Charlie?«
»Vergiß es! Bei Charlie würde ich nicht mal das Gartentor anfassen, und Buchner, mein Gott, der würde sofort angerannt kommen. Aber soweit ich mitbekommen habe, hat es ihn letzte Nacht schwer erwischt. Der hat mit Sicherheitandere Sorgen. Zudem ist mehr als die Hälfte der Stadt zerstört, womit sich der Kreis der in Frage kommenden Personen doch um einiges eingrenzt.« Martin ging an die Bar, holte ein Glas aus dem Schrank, schenkte sich einen Southern Comfort ein, gab ein paar Eiswürfel dazu, leerte das Glas in einem Zug.
»Ich kenne jemanden, und ihr kennt ihn auch«, sagte Margrit, während sie nervös am Saum ihres Kleides nestelte. Sie ging ebenfalls an die Bar, um sich einen Drink zu holen. Sie trank, dann sagte sie: »Wo würdet ihr euch denn verstecken, wenn ihr weiter keine Freunde hättet, aber jemanden bräuchtet, der allgemeines Vertrauen genießt?«
Ratlosigkeit, Schulterzucken, fragende Blicke auf Margrit, die noch immer das Glas in der Hand hielt und für einen winzigen Moment, einen Lidschlag
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