Der Finger Gottes
deutete auf einen Stuhl. »Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuchs, Herr Vandenberg?«
Jonas Vandenberg setzte sich Engler gegenüber, schlug die Beine übereinander, die Fingerspitzen seiner Hände berührten sich. »Nun, der Grund dürfte auf der Hand liegen. Es geht um den Tornado. Ich, das heißt meine Familie und ich, fühlen uns verpflichtet, den armen Leuten hier zu helfen, denn wir sind überzeugt, daß es viele liebe Mitmenschen gibt, die nicht nur ihre Angehörigen, sondern auch all ihr Hab und Gut verloren haben. Denen möchten wir gerne selbstlos unter die Arme greifen, natürlich in einem angemessenen Rahmen. Wenn Sie verstehen, was ich meine?!«
Engler hatte sich nach vorn gebeugt, die Arme auf den Tisch gelegt, die Hände gefaltet. »Das ist sehr nobel von Ihnen. Aber wenn ich ehrlich bin, so kann ich im Moment selbst noch nicht abschätzen, wer tatsächlich bedürftig ist.«
»Wissen Sie schon etwas über die Zahl der Toten und Verletzten?«
»Nein, genaue Zahlen gibt es noch nicht. Wie ich hörte, soll es weit über hundert Todesopfer gegeben haben und noch viel mehr Verletzte. Und noch werden einige vermißt.« Engler lehnte sich wieder zurück. »Aber um konkret zu werden, wie haben Sie sich eine Hilfe denn vorgestellt?«
»Oh, das ist ganz einfach. Sie sind ein bekannter, ein beliebter und ein sehr einflußreicher Mann in dieser Stadt. Wir schlagen vor, Ihnen einen gewissen Betrag in die Hand zu geben . . . Wie Sie damit verfahren, bleibt dabei ganz Ihnen überlassen. Teilen Sie ihn nach Ihrem Ermessen auf, oder lassen Sie sich inspirieren. Wir vertrauen auf Ihr untrügliches Gespür, und schließlich haben Sie ja auch Anspruch auf Hilfe von anderer Seite.« Dabei blickte Vandenberg nach oben und grinste.
»Ihr Vertrauen ehrt mich. Ich werde mich bemühen, dieses Vertrauen auch zu rechtfertigen. Selbstverständlich werde ich über alle Ausgaben genauestens Buch führen und Ihnen am Ende eine exakte Aufstellung über die verwendeten Beträge geben.«
»Ja, ja, schon gut«, sagte Jonas Vandenberg und winkte ab; er veränderte seine Haltung und wurde schlagartig ernst. »Das wäre die eine, sozusagen offizielle Seite meines Besuchs. Es gibt da noch ein kleines Problem . . . Eigentlich eher eine Familienangelegenheit, die mich im Grunde gar nichts angeht, aber da ich schon mal hier bin, will ich auch kurz mit Ihnen darüber reden. Tja, wie soll ich’s sagen«, er trommelte mit den Fingern auf der Sessellehne, sah Engler scharf an, »Sarah, die Frau von Martin ist seit gestern nacht verschwunden, nach einem Streit, einer Lappalie; aber Sie wissen ja, wie die Frauen sind, sie reagieren immer gleich so übertrieben. Manchmal glaube ich fast, das Leben wäre einfacher ohne Frauen. Na ja, Spaß beiseite. Ähm, sie hat auch ihre Tochter mitgenommen, und wir nehmen an, daß sie sich irgendwo hier im Ort versteckt hält. Haben Sie eineAhnung, wo sie sein könnte, oder haben Sie etwas von ihr gehört?«
Engler zuckte mit den Schultern, wich aber dem Blick seines Gegenübers aus. »Leider nein; auch wenn ich es gern täte, ich kann Ihnen nicht helfen.«
»Da ist übrigens noch ein Problem. Sie ist nicht allein abgehauen. Sie hat noch jemanden mitgenommen . . .« Vandenbergs Stimme war plötzlich messerscharf, sein Blick eisig. Er musterte Engler durchdringend. Das Zuschlagen der Giftzähne war nur mehr eine Frage der Zeit. »Sie kennen doch Csilla, meine liebe Nichte? Sie ist zusammen mit Sarah abgehauen. Und was das bedeutet, brauche ich Ihnen ja wohl nicht groß zu erklären? Oder?«
»Was wollen Sie?« fragte Engler mit kehliger Stimme.
»Was ich will? Das fragen Sie im Ernst? Sie wissen, was passiert, wenn Csilla den Mund aufmacht!«
»Die Sache ist lange her . . .«
»Nicht lange genug, Engler! Also, sollten Sie wissen, wo meine Nichte und Schwägerin sich aufhalten, dann raus damit. Es ist auch zu
Ihrem
Besten, und das wissen Sie. Ein falsches Wort von Csilla, irgendein gewiefter Journalist, der nachhakt, und wir sind alle geliefert. Also, strengen Sie sich an!«
»Nein, ich weiß nichts«, log Engler. Auf seiner Stirn und in seinen Handflächen hatte sich wieder kalter Schweiß gebildet. Dabei hätte er Jonas nur zu sagen brauchen, daß er sich an Brackmann wenden sollte. Er tat es nicht, er behielt diese Information für sich. Ein erster Schritt der Umkehr?
»Also gut, Sie wissen, wo Sie mich erreichen können. Das mit dem Geld werde ich noch heute veranlassen. Wie heißt es doch so
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