Der Finger Gottes
dein Mann! Trink deinen Bourbon und halt die Schnauze«, sagte Jonas.
»Eines Tages bring ich dich um!« lallte sie.
»Ja, ja, schon gut! Aber vorher darf ich doch noch Engler besuchen?« sagte er grinsend, blieb vor Margrit stehen, legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Nimm’s nicht so tragisch, Margrit, es gibt zwei Sorten von Menschen, Gewinner und Verlierer. Du gehörst leider der zweiten Gruppe an. Ciao!« An der Tür drehte Jonas sich noch mal um, grinsend hielt er den Daumen hoch: »Wir kriegen sie.«
Kapitel 30
Engler saß, seit Brackmann gegangen war, in seinem Büro, hinter seinem Schreibtisch, den Kopf auf die Hände gestützt. Elend und Hilflosigkeit hatten von ihm Besitz ergriffen. Genau das Gegenteil von allem, wofür er letzte Nacht gebetet hatte, war eingetroffen. Seine innere Stimme sagte ihm, daß geschehen mußte, was geschehen war. Vielleicht war es aber auch nur das Gefühl eines Priesters, der sich die eine Hälfte seines Lebens mit Gott und die andere Hälfte mit den Menschen beschäftigt hatte. Der dabei nach und nach den Blick für die Realität verloren hatte. Der, was immer geschah, alles mit übernatürlichen Mächten und Kräften in Verbindung brachte und dabei übersah, daß alles einen natürlichen Ursprung hatte.
Ihn sorgte die Feindseligkeit, die ihm mehr als einmal an diesem Morgen recht derb und unverhohlen entgegengeschlagen war. Natürlich verstand er die Leute, vor allem jene, die Sonntag für Sonntag treu und ergeben in die Kirche kamen, um das Wort Gottes zu hören, von Liebe und Vergebung gepredigt zu bekommen und davon, daß Gott all jenen zur Seite steht, die in Not sind. Daß, wer die Gebote Gottes hält, seines Schutzes sicher sein kann. Wie aber vertrug sich das mit diesem Tornado, der wie ein strafendes Fegefeuer über sie hereingebrochen war? Wo hatte Gott sich in jenem Augenblick versteckt?
Aber hatte er nicht auch oft genug von der Strafe Gottes gesprochen, die all jene traf, die sich gegen Gott wandten und sich dem Bösen hingaben? Doch wer dachte schon über eigene Schuld nach, wenn ihm all sein Hab und Gut genommen worden war? Irgendein anderer mußte in den Augen der Menschen in diesem bigotten, kleinbürgerlichen Nest die Verantwortung für das Desaster übernehmen, und da wahrer Glaube immer mehr abnahm, war dieser Jemand natürlich am besten Gott selbst – und weil man ihn nicht persönlich anklagen konnte, mußte sein Stellvertreter auf Erden dafür herhalten, und dieser Stellvertreter war nun mal Engler. An diesem Punkt der Erkenntnis angelangt, wollte Pfarrer Engler nicht weiter über dieses viel zu große Problem nachsinnen, zumindest vorläufig nicht. Morgen vielleicht oder übermorgen.
Der Lärm der Aufräumungsarbeiten aus dem Ort drang bis zu ihm. Er hatte sein Büro bis auf einen kurzen Ausflug in die Stadt am Morgen nicht verlassen, weil er damit rechnete, von einer Vielzahl Hilfesuchender um Beistand gebeten zu werden. Bis jetzt hatte sich aber nicht einer an ihn gewandt, keiner ihn um Hilfe gebeten, keiner Rat oder Trost gesucht, und das war die für Engler ernüchterndste Erkenntnis am Tag danach. War er doch immer überzeugt gewesen, gerade in Notfällen die erste Anlaufstation zu sein. Er drehte sich mit dem Sessel und sah hinaus, er blickte auf die Bäume vor seinem Fenster, hochaufgereckt standen sie da, stolz, dem Sturm die Stirn geboten und gesiegt zu haben.
Und dann zu allem Überfluß noch die Sache mit Brackmann und den Vandenbergs! Er fühlte sich miserabel, wie kurz vor seinem ureigenen Jüngsten Gericht. Er hatte versagt, vor den Menschen und vor Gott. Er hatte sich in Unrecht verstricken lassen. Er hätte widerstehen müssen.
Engler bemerkte in seiner Versunkenheit nicht, wie Mathildeins Zimmer trat. »Herr Pfarrer«, sagte sie leise, und er fuhr erschrocken herum, »tut mir leid, aber ich habe angeklopft. Draußen ist jemand für Sie – Herr Vandenberg. Er möchte Sie unbedingt sprechen.«
»Hat er gesagt, was er will?«
Mathilde schüttelte den Kopf.
»Dann bitten Sie ihn herein.«
Jonas Vandenberg kam freundlich lächelnd auf Engler zu, aber Engler ließ sich nicht täuschen. Der maliziöse Zug um den Mund, das spöttische Funkeln in seinen Augen verrieten Engler mehr über den wahren Jonas Vandenberg, als Worte es je vermocht hätten. Dieser Mann mußte wie eine Klapperschlange hinter dem Kopf gepackt werden, damit sie nicht zubiß.
»Guten Tag, Pfarrer Engler. Darf ich mich setzen?«
»Bitte«, sagte er und
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