Der Finger Gottes
Ich heule oft, wenn ich zuviel getrunken habe. Und ich trinke oft zuviel.« Sie zog die Nase hoch, strich sich mit einer Hand durch das halblange braune Haar. »Es war ein Mädchen, und ich hatte von ihrem teuflischen Plan bis zur Geburt keine Ahnung. Ich wäre im Traum nicht auf die Idee gekommen, sie könnten mir das Baby wegnehmen. Aber siesind so hart, so erbarmungslos! Manchmal bete ich, doch nur einmal die Macht zu bekommen, sie alle umzubringen! Ich möchte sie krepieren sehen!«
»Und was ist aus dem Vater geworden?«
»Alexander? Weiß ich nicht. Ich habe ihn seit jenem Tag, an dem er und ich hierherbestellt wurden, damit er seine Aufwartung machen konnte, nicht mehr gesehen. Kein Brief, kein Anruf, nichts! Weiß der Geier, was sie mit ihm gemacht haben, wahrscheinlich haben sie ihm einen Batzen Geld in den Rachen gestopft und ihm gesagt, er solle sich zum Teufel scheren und sich gefälligst nie wieder hier blicken lassen. Ich habe jedenfalls nie eine andere Erklärung gefunden. Wie heißt es doch so schön, aus den Augen, aus dem Sinn. Und Geld heilt viele Wunden – nur meine nicht.«
»Warum aber haben sie dich eingesperrt? Und warum so lange? Es gibt keinen Sinn!«
»Was gibt hier schon Sinn! Frag sie doch einfach! Ich habe keinem Menschen etwas zuleide getan. Sie sagen, ich sei verrückt, man dürfe mich nicht mehr unter Menschen lassen, und ein Arzt hat das alles bestätigt. Die Unterschrift eines Arztes genügt, und sie können tun und lassen, was sie wollen und mit wem sie es wollen! So einfach geht das!«
»Und dieser Alexander, ich meine, wenn er dich wirklich so geliebt hat . . .«
»Was ist dann? Ich sagte doch schon, Geld! Mit Geld ist jeder zu kaufen, auch ein verliebter junger Gockel! Mein Gott, ich habe ihm eben nicht soviel bedeutet wie er mir! Er war jung, und er war, im Verhältnis zu uns, arm. Er ist auf die Uni auch nur mit einem Stipendium gekommen. Er war Vollwaise, aber er hatte gelernt zu kämpfen, und er war gut in der Schule und also befähigt für die Uni.«
»Wußte er von deiner Schwangerschaft?«
»Hab ich doch schon gesagt, deswegen wollten wir ja schließlichheiraten! Er hat mir sogar vorgeheuchelt, sich auf das Baby zu freuen. Tja, tja, vom Winde verweht, alle guten Vorsätze dahin! Die gute, naive Csilla war wieder allein. Und keine Aussicht auf Besserung. So ist das Leben, manche Leute fallen eben nie auf die Füße. Ich gehöre wohl dazu! C’est la vie!«
»Mir sagten sie, du wärst drogensüchtig und geistig verwirrt, weil du, nun, du hättest traumatische Erlebnisse in München gehabt. Dann stimmt das mit deiner Vergewaltigung gar nicht? Jedenfalls seist du angeblich von mehreren Männern vergewaltigt worden, und man wollte dir ersparen, in einem Heim untergebracht zu werden. Du wirst hoffentlich verstehen, aber für mich gab es keinen Grund, an der Wahrheit der Geschichte zu zweifeln. Wenn ich gewußt hätte . . .«
»Was dann? Ich sage dir, was dann passiert wäre . . . nichts, gar nichts wäre passiert, rein gar nichts! Du wärst doch nicht so töricht, dich mit dieser Meute anzulegen! Dieses Haus ist eine Festung, mein Zimmer ist eine Festung, die Hunde haben sie auf mich abgerichtet! Ja, du hast richtig gehört, sie haben alle Vorbereitungen getroffen, daß ich nie wieder dieses Haus verlassen kann. Es gab und gibt für mich keine Möglichkeit, hier rauszukommen.«
»Ich werde dir helfen. Ich werde alles versuchen, um . . .«
»Vergiß es! Mir kann keiner helfen. Außerdem wirst du, sobald der Sturm vorüber ist, mich schnell wieder vergessen haben. Also mach dir keine Gedanken um mich. Ich werde jetzt die Flasche allmählich leer machen und dann mit der nötigen Bettschwere wieder in meine Zelle gehen . . .«
»Ich werde dir trotzdem helfen.«
»Das hört sich verdammt gut an!« Die Kellertür flog mit lautem Knall gegen die Wand. Die Stimme war scharf und schneidend. Victor Vandenberg, Csillas Vater, der nur in Umrissen zu erkennen war, stand in der Tür, den Strahl derTaschenlampe auf die beiden Frauen gerichtet. »Wie ich sehe, habt ihr euch prächtig unterhalten!«
Sarah reagierte am schnellsten. Mehr instinktiv denn überlegt, im Bruchteil einer Sekunde, als der Schein der Taschenlampe gerade einmal nicht direkt auf sie zeigte, riß sie die noch halbvolle Flasche aus Csillas Hand und schleuderte sie mit aller Kraft in Victor Vandenbergs Richtung, wo sie an der Wand neben ihm zerbarst. Von dem unerwartet geführten Angriff überrascht,
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