Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert
entbrannt.
Dass die Sparpolitik nun an das neue Projekt zur Stärkung des zivilgesellschaftlichen Engagements gekoppelt wird, soll die Londoner aufrütteln. »Big Society« appelliert an die Einstellung, die die Stadt im Zweiten Weltkrieg an den Tag gelegt hatte: die stiff upper lip – Haltung bewahren –, mit der sich der Londoner ins Unvermeidliche schickte, ohne sich unterkriegen zu lassen. Eine bitter nötige Tugend, betrachtet man die Einsparungen, die Großbritannien künftig erwarten. Doch die gesellschaftliche Solidarität, auf die Premierminister Cameron rechnet, wurde in den letzten zehn Jahren vom Krebsgeschwür der Korruption überwuchert, von der Ungerechtigkeit und dem Egozentrismus, nach dem jeder sich selbst der Nächste ist. Die Schamlosigkeit derer, die ihren Reichtum auf die Opfer anderer gründen, hat die meisten Menschen zu Einzelkämpfern werden lassen.
Die Jugend klettert über den Stacheldrahtzaun
Weder Boris Johnson noch Nicholas Anstee können zufriedenstellend erklären, wohin der Reichtum der Stadt verschwindet, der zwar in den Bilanzen aufscheint, von dem auf den Straßen aber nichts zu sehen ist. Kein Wunder, denn dieses Geld fließt letztendlich wieder in die Kanäle der Ungleichheit. Der Finanzüberschuss, dessen sich der Lord Mayor rühmt, geht schließlich auf eine Clique Superreicher zurück, die die Hauptstadt als Freizeitpark benutzen, gestützt von einem Heer von Bankern und Financiers, die hoffen, früher oder später in diese Clique aufzusteigen, auch wenn das immer schwieriger wird. Im Februar 2011 veröffentlichte die Financial Times Daten zu den Immobilienpreisen in London. Darin war ein deutlicher Anstieg der Mieten bzw. Kaufpreise in ohnehin schon teuren Vierteln wie Kensington, Chelsea und Belgravia zu verzeichnen. Die Nachfrage übersteigt das Angebot bei weitem, lassen sich hier doch russische Oligarchen und die Neumilliardäre aus China nieder. Die Banker können da jedenfalls nicht mithalten und wandern in billigere Gegenden ab: Wandsworth, Balham, Fulham, Islington im Norden oder die Docklands im Westen. Im Rest der Stadt hingegen sinken die Preise, weil die Anzahl derer wächst, die sich selbst billige Unterkünfte nicht mehr leisten können.
Gotham City liegt gleich neben dem Swinging London der Blair-Zeit, dem neuen Disneyland des Geldadels. Obwohl viele der Superreichen nach Dubai oder Singapur abwandern, die als Steuerparadiese gerade en vogue sind, behält doch jeder ein Domizil in London, in dem er regelmäßig absteigt. Es ist kein Zufall, dass die teuersten Tickets der British Airways auf der Strecke London–Dubai bzw. London–Singapur verkauft werden. Ein Flugticket in der Business Class nach Singapur kostet sage und schreibe 6000 Pfund Sterling, und doch ist es nicht einfach, einen Platz in einem der vier Jumbojets zu bekommen, die täglich von London aus dieses Ziel anfliegen.
Nach London kommt man, wenn die Opernsaison losgeht, wenn Wohltätigkeitsbälle die Anwesenheit erfordern oder die No belmarke Louis Vuitton ihren neuen Flagship-Store in der Bond Street eröffnet, dessen Einrichtung im Frühjahr 2010 45 Millionen Pfund gekostet hat. Und wer kam, um die stylishen Accessoires zu bewundern, die vor den mobilen Wänden oder der Glastreppe präsentiert wurden? Filmschauspieler, Milliardäre aus Russland und China, ein paar Banker sowie die hippe Fashion-Crowd des »alten« London wie die Beckhams. Wer kam nicht? Die Intellektuellen, die echten jedenfalls. Diese haben London nämlich während der Ära Blair verlassen.
Während der Party meinte Supermodel Elle Macpherson zu einem Journalisten des Bloomberg-Kanals, es sei hohe Zeit gewesen, dass jemand mal wieder eine Party im Stile der Neunziger schmeiße, als es noch keine Sparprogramme gab und »wir alle reich waren«. Doch das stimmt nicht so ganz. Denn die Sparappelle von David Cameron und Nick Clegg richten sich ja nicht an die reichen Londoner, denen es heute besser geht als je zuvor.
Will man Andrea Gerst glauben, einer Analystin der Swiss & Global Asset Management, boomt der Markt für Luxusgüter in London und wächst schneller als vor der Krise. Bestätigt wird dies auch vom Management des Auktionshauses Sotheby’s. Dort wurde bei einer Auktion Ende 2010 ein Bild von Picasso verkauft: »Der Unterricht« (»The Lesson«, 1932) brachte 40 Millionen Pfund Sterling ein, das Zehnfache des von Sotheby’s erwarteten Erlöses. Im Jahr 2010 nahm allein das Londoner Büro des weltweit
Weitere Kostenlose Bücher