Der Flammenengel
und ich schaffte es nur mit einem gewaltigen Sprung, den nächstliegenden Grabstein zu erreichen und über ihn hinwegzuhechten, so dass ich an der Vorderseite des Grabs auf der weichen Erde landete.
Kaum hatte ich Bodenkontakt und dabei eine breite Schale umgestoßen, als ich das zischende Geräusch vernahm, das so ähnlich klang wie ein Schweißbrenner. Die Nackenhärchen stellten sich bei mir aufrecht, denn ich wusste, was auf mich zukam.
Höllenfeuer macht vor nichts halt, das war mir bekannt. Ich dachte an den geschmolzenen Marmor der Leichenhalle und erlebte im nächsten Augenblick das gleiche Phänomen bei meiner provisorischen Grabstein-Deckung. Das Feuer brannte den Stein durch. Er war ein sechseckiges Gebilde mit abgerundeten Kanten. In der Mitte zeigte er eine stilisierte Szene, wie Moses das Volk Israel durch das Rote Meer führt. Das alles schmolz zusammen und bildete einen Klumpen, als es durch das Höllenfeuer in eine mörderische Hitze geriet.
Ich drückte meinen Körper zurück, schaute nach vom und bekam mit, wie das Gestein flüssig wurde. Dabei gab es Dampfwolken ab, die von einem Zischen begleitet wurden. Wie flüssiges Eisen tropfte das Gestein auf die feuchte Erde. Aber aus welchem Grunde kam das Monstrum nicht selbst und hielt sich nach wie vor hinter dem Stein verborgen? Es kam. Ich sah es, wie es hinter der Deckung in die Höhe schoss und über den schmelzenden Stein hinwegragte. Eine schiefe Gestalt, eine schreckliche Figur, die von Suko malträtiert worden war, denn gleichzeitig vernahm ich das Klatschen der Peitschenriemen, als sie auf den dämonischen Körper hämmerten.
Ich ging wankend zurück und breitete die Arme aus, um das Gleichgewicht zu halten. Auf dem schmalen Weg blieb ich stehen und schaute der endgültigen Vernichtung des Monstrums zu. Noch einmal hatte es seinen Körper in die Höhe gedrückt. Dabei bewegte es auch seine schwarz verbrannten Arme. Beidseitig kippten sie nach vorn. Es sah so aus, als wollte das Monstrum den immer kleiner werdenden Grabstein umschlingen wie einen letzten Rettungsanker. Dies war nicht mehr möglich. Der Stein wurde kleiner und das Monster ebenfalls. Mit der schmelzenden Masse sackte es zusammen. Die magische Kraft der Dämonenpeitsche hatte es zerrissen. An zahlreichen Stellen loderten kleine Flammen. Nicht größer als Finger. Sie tanzten und bewegten sich über die Masse, die sich allmählich vor meinen Füßen auf dem Grab verteilte und dort wie ein kleiner See liegen blieb.
Das also war es gewesen! Ich atmete auf und sah Suko winken. Er hatte die linke Hand erhoben, in der rechten hielt er die Peitsche. Dann setzte er sich in Bewegung und kam um das Grab heran. Nickend blieb der Freund neben mir stehen. »Das war es dann wohl gewesen«, erklärte er.
»Ja, ich danke dir.«
Suko winkte unwillig ab. »Unsinn, John, wir haben jedenfalls bewiesen, dass diese Feuerleichen nicht unbesiegbar sind. Und das ist immerhin etwas.«
»Ja, und mein Kreuz ist verschwunden.« Nach diesen Worten schauten wir beide unwillkürlich zu den grauen Wolken hoch, in die das Kreuz eingetaucht war. Von allein war das sicherlich nicht geschehen. Irgendeine uns noch unbekannte Kraft musste für dieses Phänomen gesorgt haben. Aber welche?
Ich schritt um das Grab herum. Der Stein und die geschmolzene Feuerleiche waren ineinander verlaufen. Sie bildeten eine Masse, so dass ein Gegenstand vom anderen nicht mehr unterschieden werden konnte. Auch die Flammen tanzten nicht mehr. Sie waren verloschen, als hätte jemand Wasser über sie gekippt. Nicht einmal dünne Rauchschwaden breiteten sich über dem Grab aus.
Suko sprach mich an. »Wie es ausgegangen ist, wissen wir, aber wie geht es weiter?«
Eine verdammt gute Frage, denn die Antwort fiel mir sehr schwer.
»Jedenfalls wissen wir jetzt, dass dieses Feuer keine normale Ursache hat. Das ist immerhin etwas.«
»Richtig, und wer steckt dahinter?«
Wir unterhielten uns quer über das Grab hinweg. Noch immer lag der Brandgeruch in der Luft.
»Die Zeugen haben von einem Engel gesprochen«, sagte ich.
»Der einen Namen haben müsste.«
»Der Eiserne ist es nicht.«
»Nein, da gebe ich dir recht. Es könnte ein anderer sein, John, das weißt du genau. Muss ich den Namen aussprechen, oder willst du es tun?«
Ich nickte. »Lass es, Suko, ich weiß, wen du meinst. Und ich sage den Namen. Es ist Uriel!«
Suko schwieg nach dieser Antwort. Er ahnte sicherlich, wie es in meinem Innern aussah. Ich hatte auf die Erzengel
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