Der Flammenengel
auch eine Zeit sagen?«
»Nein, nicht genau. Ich muss mich erst erholen. Ich bin ja nervlich am Ende.« Er sprach wie ein trotziges Kind, und die beiden Beleuchter fingen an zu grinsen.
»Im Laufe des Vormittags, nicht?«
»Ja, aber nicht vor zehn.«
»Geht in Ordnung, Myerchen.«
Aaron zuckte zusammen. »Ihr sollt mich doch nicht immer Myerchen nennen. Wir haben schließlich nicht zusammen Murmeln gespielt.«
»Das können wir ja noch nachholen, Myerch… ich meine Mr. Myer.«
»Nein, mit euch spiele ich nicht. Außerdem was soll das?« Myer sprang auf. »Ihr seid wohl verrückt, wie?«
»Bis morgen dann.«
»Ja geht nur.« Völlig entnervt ließ sich Myer wieder auf seinen Stuhl sinken. Er legte den Kopf so weit zurück, dass der über die Lehne hing. Der größte Teil der Bühne lag im Dunkeln, bis auf den Platz des Regisseurs. Auch im Zuschauerraum brannte kein Licht. Es roch nach Staub, alten Kulissen und Bohnerwachs. Dieses Theater in dem Myer seine Ballettaufführung probte, lag in Soho, und der Bau hatte schon seine 30 Jahre auf dem Buckel. Für eine Renovierung fehlte das Geld, so gammelten die Räume allmählich vor sich hin.
Die Tänzer waren froh, dass auch sie verschwinden konnten. Da sie die Tür zu der Sammelgarderobe nicht verschlossen hatten, schallte ihr Lachen bis auf die Bühne. Das ärgerte Aaron Myer.
Er sprang auf und schrie: »Zur Hölle mit euch! Ich hasse diese Störungen.« Er wurde ruhig, weil jemand die Tür zugeschlagen hatte. Aaron Myer sprach zu sich selbst. »Nur auf mich kann ich mich verlassen. Bei allen anderen falle ich rein. Was habe ich nicht alles für die Truppe getan? Aber wie dankt man es mir? Mit schlechten Leistungen. Ja, mit wirklich miesen Leistungen.«
Er nickte sich selbst zu, weil sonst niemand da war, der ihm etwas bestätigt hätte. Allmählich beruhigte er sich wieder. Er transpirierte auch nicht mehr so schlimm und spürte, dass es kalt wurde. Automatisch dachte er an die Premiere und ärgerte sich jetzt, dass er seine Tänzer hatte gehen lassen. Wenn es am Wochenende nicht klappte, würde er alles hinschmeißen und wieder zurück in die Staaten gehen.
»Ja«, sagte er und nickte. »Ich mache es wahr. Ich gehe zurück nach Frisco. Das habe ich nicht nötig.«
Nickend und vor sich hinmurmelnd trippelte er über die Bühne, bis in die Nähe der Garderoben. Er besaß seine eigene, öffnete die Tür und sah sofort den Nagellack auf dem Spiegel. Jemand hatte einen obszönen Spruch geschrieben. Dabei die Handschrift so verstellt, dass Myer nicht wusste, wer der Schreiber war. Ihm fehlten die Worte. Wie erschlagen ließ er sich auf einen Stuhl fallen und schlug die Hände vor sein Gesicht.
»Womit habe ich das verdient?« murmelte er. »Womit denn nur…?«
Da er sich selbst keine Antwort geben konnte, beschloss er, das Theater zu verlassen und irgendwo einen kühlen Drink zu nehmen. Der würde ihm gut tun. Von seiner Garderobe aus führte eine Tür zu der Dreierdusche. Als Myer über die Schwelle trat, war die Dusche leer. Nur mehr leichte Dunstschleier hingen noch im Raum.
Aaron schlüpfte aus dem Trikot, ging noch einmal zurück, um im Spiegel seine Figur zu begutachten. Ja, er hatte nicht zugenommen. Ein zufriedenes Nicken deutete an, dass er sich darüber freute. Er wollte sich schon abwenden, als es geschah.
Plötzlich flog ihm die normale Garderobentür entgegen. Irgendeine unheimliche, für Aaron Myer nicht erklärbare Kraft musste sie aus dem Mauerrechteck geschleudert haben. Der Tänzer und Choreograph stand da, begann zu schreien und streckte die Arme aus. Fast hätte ihn die fallende Tür erwischt. Nur eine Handbreit vor seinen Zehenspitzen knallte sie zu Boden. Und dann kam das Feuer.
Fauchend und hell lodernd schoss es in die Garderobe hinein. Eine gewaltige Flammenwand, die alles, was sich ihr in den Weg stellte, vernichtete. Der Spiegel schmolz dahin. Stühle, der kleine Tisch, die Tapetenfetzen an den Wänden, all das glühte, und selbst das Glas der kleinen Schminkflaschen konnte dem Feuer nicht widerstehen. Aaron Myer natürlich auch nicht. Er sah die mörderische Wand, spürte die Hitze, die wie eine gewaltige Glocke auf ihn eindrang, und er sah inmitten des Feuers auch die Gestalt des Engels. Riesig kam sie ihm vor. Eine Gestalt mit einem Flammenschwert, das den Weg in den Tod bahnen sollte. Myer begann zu schreien…
Er hatte den Mund weit aufgerissen, und er schrie auch noch, als die Flammenlohe über ihm zusammenbrach und ihn
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