Der Flatbootmann
erkannte in demselben Augenblick auch ein junges Mädchen in einem weißen Kleid, die den schmalen Gang entlang und gerade auf den Alligator zukam. Sie konnte überhaupt kaum noch vierzig Schritt von diesem entfernt sein und ihn gar nicht bemerkt haben, sahen doch die Bestien auch wirklich nur aus wie ein Stück altes, trockenes Holz, wenn sie so still und regungslos in der Sonne lagen. Jack wollte jetzt schießen, aber er fürchtete, die Kugel könne auf der panzerartigen Haut abprallen und das Mädchen treffen, und ein eigenes Gefühl der Angst überschlich ihn, als er sah, wie dieses, vertrauensvoll näherkommend, einer furchtbaren Gefahr mit raschen Schritten entgegenging. Unschlüssig zögerte er, aber es war keine Zeit mehr zu verlieren.
Das junge Mädchen hatte ein kleines, langhaariges braunes Hündchen auf dem Arm, das sie liebkosend streichelte, und sah dabei nicht weiter auf ihren Pfad, als eben nötig war, den Damm zu halten. Kaum noch zehn Schritt konnte sie von der Bestie entfernt sein, und sprang er jetzt vor und rief sie an, und floh sie, so war ja nichts wahrscheinlicher, als daß der heimtückisch lauernde Alligator sie verfolgen würde. Dann aber war es nicht mehr möglich, ihr Hilfe zu bringen, und sich deshalb auf seine gute Büchse verlassend, hob er den Lauf, zielte, um die Kugel womöglich unter das Ohr und von hinten in das Hirn zu bringen, und drückte ab.
Mit dem Schuß schnellte sich das kolossale Tier über den Damm weg in das Wasser; das junge Mädchen aber, das dicht vor ihren Füßen in diesem Augenblick zum erstenmal das Ungeheuer entdeckte, durch dieses wie den Schuß erschreckt, ließ den kleinen Hund fallen und sprang eben noch in Zeit zurück, dem nach ihr hinüberschlagenden Schwanz der Bestie zu entgehen - ein Schritt nur weiter vor, und sie wäre davon erreicht worden. So traf sie allerdings der Schlag nicht, aber der arme kleine Hund wurde davon mit in das Wasser gerissen, und während er laut aufschrie, drehte sich der zu Tode verwundete Alligator noch einmal nach ihm um, packte ihn in seinem riesigen Rachen und verschwand damit in der über ihm zusammenschlagenden Flut. Jack aber, der sich verwünscht wenig um den Hund kümmerte, stieß einen lauten Freudenschrei aus und sprang auf die Fremde zu, die an allen Gliedern zitternd und keiner Bewegung fähig auf dem Damm stand.
Es war ein junges, bildschönes Mädchen von kaum siebzehn Jahren, mit vollen dunklen Haaren, aber blauen Augen, mit zartem, jetzt fast marmorbleichen Teint. So einfach aber auch ihre Kleidung sein mochte, so zart und edel war die ganze Gestalt, die nur leise erbebte, als der Arm des jungen Mannes sie umfaßte und stützte.
»Haben Sie keine Furcht weiter, Miß«, rief Jack, sein gutmütig-ehrliches Gesicht mit voller Röte übergossen, »ich denke, die Bestie hat genug, und der Appetit wird ihr wohl vergangen sein. Meine Kugel ist hineingefahren; sehen Sie nur, wie der Blutstreifen, den sie in der Flucht gezogen, dort schillernd auf dem Wasser liegt. Sie müssen das Untier gar nicht vor sich gesehen haben; die verwünschten Dinger gleichen auch wahrhaftig einem alten Baumstamm auf ein Haar!«
»Ich - ich danke Ihnen«, flüsterte das junge Mädchen, während das Blut, das vorher ihre Wangen verlassen, in einer wahren Flut zurückschoß und ihr Antlitz und Nacken fast dunkel färbte. »Ich hatte es wirklich nicht gesehen - aber - guter Gott, mein Joly, mein armer Joly ist verloren - oh, ich armes unglückliches Mädchen, wie wird es mir jetzt gehen!«
»Das arme kleine Ding hat der Satan allerdings mit über Bord genommen«, sagte der Bootsmann etwas verlegen, denn es kam ihm sonderbar vor, daß die junge Dame, wo sie eben erst kaum selber dem Tode entgangen, so über den Verlust eines Hundes klagen konnte. »Das läßt sich aber nicht ändern, und ich danke Gott, daß das Ganze noch so abgelaufen ist. Sie haben sich recht erschreckt, nicht wahr?«
»Oh, mein Gott, ja - ich hätte ja sonst den Hund nicht fallen lassen«, seufzte das Mädchen und machte sich dabei leicht von dem sie noch immer stützenden Arm des jungen Mannes frei. »Sollte es - sollte es denn gar nicht möglich sein, das arme Tier zu retten?«
»Retten? Schwerlich«, sagte Jack, dem diese Sorge, die sich nur mit dem toten Hund beschäftigte, eben nicht besonders gefiel. »Wenn ihn der Braunbuckel nicht noch als letzten Bissen verschluckt hat, sind ihm doch wenigstens alle Knochen im Leib zerbrochen, und er liegt jetzt irgendwo da
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