Der Flatbootmann
Pflicht, den Flüchtigen wenigstens den Wasserweg abzuschneiden, indem sie das dort eingelaufene und wahrscheinlich jetzt verlassene Kanu herausholten und treiben ließen oder zerstörten. Es war dann immer eher möglich, die beiden hier im Wald wieder aufzufinden und zu fangen. Nach kurzer Beratung entschlossen sie sich denn auch, ihr Boot in das Gewirr von Ästen, durch die das schmale Kanu viel leichter hindurchgeschlüpft war, hineinzuschieben. Gar nicht weit den Strom hinauf hatten sie dann die Anzeige zu machen, und hielt man sie fest, so ließ sich ihre Unschuld leicht beweisen. Vorsichtig machten sie sich deshalb an die Arbeit, und die Ruder auf die Bänke legend, während sie sich an den Ästen langsam vorwärtszogen, brachten sie das Boot auch bald dort ein, wohin ihnen das Kanu vorausgefahren war. Ehe sie aber nur in dem dunklen Schatten der Bäume erkennen konnten, wo es lag, donnerte ihnen des Bootsmanns Stimme entgegen:
»Zurück, ihr Burschen! Schiebt sich euer Boot noch eine Elle weiter hier herein, so schieß ich dem ersten Wollkopf, der sich darin zeigt, eine Kugel durchs Hirn - habt ihr mich verstanden?«
Die Neger antworteten nicht; daß der Mann aber nicht spaße, davon hatten sie den blutigen Beweis in ihrem eigenen Fahrzeug liegen, und rascher, als sie in das Gewirr hineingekommen, arbeiteten sie sich wieder zurück. Mit Gewalt war da nichts auszurichten, und sie selber mußten sich einen anderen Plan ausdenken, um dem Kanu wenigstens die weitere Flucht abzuschneiden.
Jack hatte indessen seinen eigenen Plan gefaßt. Sowie das Kanu mit der Spitze die dort nicht zu steile Uferbank berührte, sprang Sally heraus und stand jetzt zitternd am Ufer, um ihren Beschützer zu erwarten. Der junge Bootsmann säumte denn auch nicht, ihr zu folgen, und einmal erst auf sicherem Boden, wurde ihm leichter, fröhlicher ums Herz. Seine erste Sorge war aber, die abgeschossene Büchse wieder zu laden, und mit der Waffe jetzt schußfertig in der Hand wußte er, daß er sich die unbewaffneten Neger leicht in nötiger Entfernung halten könne. Ihren ersten Versuch, sein kleines Fahrzeug zu nehmen, machte er auch rasch durch seine Drohung zunichte, seine Situation war aber dadurch auch nicht viel gebessert. Vorsichtig horchte er allerdings erst eine Weile nach den Zurückweichenden hinüber, solange er ihre Stimmen hören konnte, und kletterte dann leise wieder in das Kanu hinab.
»Wo wollt Ihr hin?« flüsterte Sally, erschreckt die Hände faltend. »Nur ruhig, mein Herz«, warnte aber der Mann mit ebenso leiser Stimme. »Erst muß ich wissen, was die Burschen da draußen vorhaben - bleib nur ruhig hier und fürchte nichts - ich komme gleich zurück.«
Seine Büchse im Kanu, ohne jedoch das Ruder zu gebrauchen, schob er jetzt den Bug desselben langsam weiter und weiter vor, bis er der ihm ängstlich Nachschauenden im Schatten des dunklen Baumwollholzwipfels entschwunden war - lange Minuten vergingen, und er kehrte nicht zurück. War er geflohen? Hatte er sie allein hier ihrem Schicksal überlassen? Sie schauderte bei dem Gedanken, und noch einmal so unheimlich rauschten die düsteren Wipfel über ihr und tönte klagend der Ruf der Eulen durch den stillen Wald. Eine volle halbe Stunde verging ihr so in peinlich qualvollem Warten, und keine Nacht war ihr so lang noch vorgekommen. Endlich glaubte sie, das Geräusch zurückgedrängter Büsche zu hören; ihr Herz klopfte stürmisch in der Brust, und jetzt - er kehrte zurück. Dort schob sich das lange schmale Kanu langsam dem Land wieder entgegen, und als sie sich vorbeugte, den Bug desselben zu fassen und zu halten, trat Jack, die Büchse in der Hand, zu ihr heraus.
Kein Wort sprach er dabei, nur alles, was noch im Boot lag, hob er heraus, zog das Kanu dann weiter auf den weichen Boden, höher und höher hinauf. Seine ganze Kraft mußte er dabei anwenden und bald an dem, bald an jenem Ende heben, denn das Mädchen konnte ihm wenig dabei helfen. Endlich aber gelang es ihm doch, es, wenigstens vom Wasser aus, außer Sicht hinter einen Busch zu bringen, und er ging nun daran, die hinterlassenen Spuren im weichen Boden so gut als möglich wieder unkenntlich zu machen. Sally hatte ihn dabei, soviel sie konnte, unterstützt, und das beendet, faßte er jetzt des Mädchens Hand und half ihr wieder die Uferbank hinauf, weiter, immer weiter in den Wald hinein. Noch immer sprach er kein Wort und suchte nur sorgfältig die offensten Stellen für seinen Schützling aus, um ihr
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