Der Flatbootmann
sich und war fest entschlossen, sie im äußersten Notfall auch zu gebrauchen, aber einmal abgeschossen, konnte er sie in dem schwankenden Kanu gar nicht wieder laden - und was dann? - So viel hatte er dabei gemerkt, daß ihr Kanu das Wasser weit rascher durchschnitt, wenn er nicht zu viel gegen die Strömung anhielt, sondern ihr mehr folgte. Dadurch verlängerte er aber auch die Entfernung zwischen sich und dem Land, dabei konnten die Verfolger nur gewinnen. Es blieb ihm deshalb schon nichts anderes übrig, als das nächste Land in so gerader Richtung als möglich anzusteuern; wer konnte wissen, welche Vorteile ihm die Nähe des Lands selber bot, und daß er solche dann nach Kräften nützen würde, dazu war er fest entschlossen.
Das Mädchen ruderte indessen still und schweigend fort. Nur einmal, als die Ruderschläge der Verfolger zum erstenmal ihr scheues Ohr trafen, wandte sie den Kopf dorthin, dann arbeitete sie geduldig weiter. Hinter ihr lag der Tod, vor ihr das Leben; und an das klammerte sich ja das arme junge Mädchen noch mit allen Fasern ihres Herzens fest. Jack ruderte ebenfalls aus Leibeskräften, aber je mehr er sah, daß die Verfolger näher kamen, desto fester und ingrimmiger biß er die Zähne zusammen. Furcht kannte er dabei gar nicht; sein Leben hatte er schon oft selbst eines gleichgültigen Erfolgs wegen gewagt, aber das ärgerte ihn, daß er vor dem feigen Burschen von Aufseher fliehen mußte.
»Schuft von einem Kerl«, murmelte er dabei vor sich hin, »hätt ich nur ein Boot unter mir, wie du, in dem ich mich aufrichten dürfte, ohne die Gewißheit zu haben, im nächsten Augenblick damit umzuschlagen, wie in der Nußschale von einem Ding hier, ich wollte dich lehren, arme Mädchen blutigpeitschen!«
Weiter - immer weiter ruderte er. Der Schweiß stand ihm in großen Tropfen auf der Stirn, und trotzdem schallten die Ruderschläge immer lauter und deutlicher zu ihnen herüber. Dabei war es, als ob das Land, das ihm am Anfang so nahe geschienen, gar nicht näher kommen wolle. Noch immer lag eine weite Wasserfläche zwischen ihm und dort, und das verfolgende Boot hätte er schon mit der Büchsenkugel erreichen können. Aber kein Wort sagte er; was half jetzt alles Reden, wo sie handeln mußten, und überdies entschied die nächste Viertelstunde ja auch ihr Schicksal - zum Guten oder Bösen -, aber immer näher kam das Boot. Während des Mädchens Arme, von der Entzündung des Rückens angegriffen, mehr und mehr ermatteten, legten sich die Verfolger nur mit frischerer Lust in die Ruder, je deutlicher sie sahen, wie sie dem Kanu näher kamen. Auf der einen Seite winkte ihnen für sie reichlicher Gewinn, auf der andern drohte ihnen die Peitsche, kein Wunder, daß sie da ihr Bestes taten, um den ausgesetzten Preis zu verdienen. Zehn Minuten waren solcherart noch vergangen. Das Boot konnte kaum noch hundert Schritt von ihnen entfernt sein, und das laute Lachen des Aufsehers, der über den glücklichen Fang jubelte, tönte schon zu ihnen herüber. - Jack knirschte vor Wut die Zähne zusammen, und ein toller Entschluß reifte auf einmal in ihm.
»Und sie sollen dich doch nicht fangen, Sally!« flüsterte er dem Mädchen zu. »Wenn wir auch nicht zusammen fliehen können, will ich den Hunden da drüben doch den Spaß vereiteln.«
»Es ist vergebens«, stöhnte das Mädchen, indem sie das Ruder sinken ließ, »ich danke Euch für alle Güte, die Ihr mir erwiesen, und hätt ich noch Tränen! Aber es ist vorbei - in wenigen Minuten sind wir in ihrer Gewalt.«
»Noch nicht«, sagte aber Jack, das Ruder mit doppelter Kraft gebrauchend. »Teufel! Das Land ist kaum zweihundert Schritt mehr entfernt, und so nahe vor dem Hafen noch zu scheitern - aber noch gibt es ein Mittel. Die kurze Strecke kannst du auch allein noch rudern, und daß dir die anderen nicht folgen, dafür laß mich sorgen. Ich rudere dich jetzt noch so weit als irgend möglich, die Entfernung zu verringern, und laufen sie dann an uns heran, dann sitz nur fest, dann spring ich hinüber in ihr Boot und will sie schon am Rudern hindern, bis du in Sicherheit bist.«
»Und Ihr? - Was wird aus Euch?«
»Pah!« sagte der junge Bursche. »Was können sie machen? - Sie sollen mir nachher einmal beweisen, daß du gerade hier in dem Kanu gewesen - wenn sie überhaupt imstande sind, mich zu halten. Ich kann schwimmen wie ein Fisch und will ihnen schon entgehen.«
»Es ist umsonst«, sagte kopfschüttelnd das Mädchen. »Was hilft es mir auch, wenn
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