Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fledermausmann

Der Fledermausmann

Titel: Der Fledermausmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
Vom Netzwerk:
Leitung für uns überprüft. Kabel, die von der Decke herabhängen, werden selten gewaschen, nicht wahr, und so haben wir geglaubt, daß man dort vielleicht Fingerabdrücke finden müßte. Das Kabel war aber so sauber wie ein . . . äh . . .«
    Lebie machte eine Bewegung mit der Hand.
    »Wie etwas, was normalerweise sehr sauber ist?« eilte ihm Yong zur Hilfe.
    »Genau. Die einzigen Abdrücke, die wir fanden, waren unsere eigenen.«
    »Also, wenn Andrew nicht die Leitung abgewischt hat, bevor er sich erhängte«, überlegte Wadkins, »und den Kopf durch die Schlinge steckte, ohne das Kabel zu berühren – dannmuß das jemand anders für ihn erledigt haben. Wollen Sie das damit sagen?«
    »Es sieht so aus, Chef.«
    »Aber wenn dieser Typ so schlau ist, wie ihr mich das glauben machen wollt, warum macht er dann das Licht aus?« Wadkins breitete die Arme aus und schaute in die Runde.
    »Weil«, sagte Harry, »er das automatisch macht, ohne darüber nachzudenken. Wie Menschen, die ihre eigene Wohnung verlassen. Oder eine Wohnung, zu der sie einen Schlüssel haben und in der sie sich frei bewegen und kommen und gehen können, wann sie wollen.«
    Harry lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Er schwitzte wie ein Schwein und wußte nicht, wie lange er es noch ohne einen Drink aushalten konnte.
    »Ich glaube, der Mann, den wir suchen, ist Otto Rechtnagels heimlicher Geliebter.«
     
    Lebie stellte sich neben Harry in den Aufzug.
    »Geht's zum Essen?« fragte er.
    »Das hatte ich vor, ja«, antwortete Harry.
    »Hast du was dagegen, daß ich mitkomme?«
    »Ganz und gar nicht.«
    Lebie war die richtige Gesellschaft, wenn man nicht vorhatte, zu viel zu reden.
    Sie bekamen einen Tisch im Southern in der Market Street. Harry bestellte einen Jim Beam. Lebie schaute von der Karte auf.
    »Bringen Sie uns zweimal Barramundisalat, schwarzen Kaffee und frisches Weißbrot.«
    Harry blickte Lebie überrascht an.
    »Danke, aber ich für meinen Teil möchte noch nichts«, sagte er zum Kellner.
    »Bringen Sie, was ich gesagt habe«, sagte Lebie mit einem Lächeln. »Mein Kumpel wird sich das schon noch überlegen, wenn er euren Barramundi hier erst einmal probiert hat.«
    Der Kellner verschwand. Harry schaute Lebie an. Er hatte beide Hände mit gespreizten Fingern vor sich auf den Tisch gelegt und schaute von der einen zu der anderen, als versuche er, einen Unterschied zu erkennen.
    »Als ich jung war, bin ich die Küste hinauf nach Cairns getrampt, immer am Great Barrier Reef entlang«, sagte er zu seinen Handrücken. »In einem Hotel für back-packers habe ich zwei deutsche Mädchen getroffen, die auf einer Weltumsegelung waren. Sie hatten sich ein Auto gemietet, fuhren den ganzen Weg von Sydney zurück und erzählten ausführlich, wo sie gewesen waren, wie lange und warum sie dort gewesen waren und wie sie den Rest ihres Urlaubs geplant hatten. Es wurde dabei ganz deutlich, daß sie kaum etwas dem Zufall überließen. Das liegt vielleicht an der deutschen Mentalität. Und als ich sie fragte, ob sie auf ihrer Reise Känguruhs gesehen hatten, lachten sie überlegen und versicherten mir, daß sie natürlich welche gesehen hätten. Dabei schwang irgendwie mit, daß sie diesen Punkt auf ihrer Dagewesen-undGesehen-Liste abgehakt hatten. Ich fragte sie dann, ob sie angehalten und sie gefüttert hätten, aber diese Frage verblüffte sie völlig, und sie schauten mich fragend an:
    ›Aber, no!‹
    ›Why not? They are quite cute, you know.‹
    ›Aber, zey were dead!«‹
    Harry war so verblüfft über Lebies langen Monolog, daß er vergaß zu lachen. Känguruhs sind auf den australischen Straßen ein wohlbekanntes Verkehrsproblem, und alle, die ein bißchen außerhalb der Städte herumgefahren sind, haben schon die Kadaver in den Straßengräben liegen sehen.
    Der Kellner kam und brachte Harry den Drink. Lebie schaute auf das Glas.
    »Vorgestern habe ich ein Mädchen gesehen, das so süß war, daß ich Lust hatte, ihr über die Wangen zu streicheln und ihr etwas Nettes zu sagen. Sie war etwas über zwanzig, trug ein blaues Kleid und hatte nackte Beine. Aber, she was dead. Wiedu weißt, war sie blond, vergewaltigt und hatte blaue Würgemale am Hals.
    Und heute nacht habe ich von all diesen unsinnig jungen und sinnlos hübschen Leichen geträumt, die in den Straßengräben von ganz Australien liegen – von Sydney bis Cairns, von Adelaide bis Perth und von Darwin bis Melbourne. Und das alles nur aus einem einzigen Grund. Weil wir die Augen davor

Weitere Kostenlose Bücher