Der Fledermausmann
haben den Zeugen, von dem Andrew behauptete, er habe Evans White am Mordtag in Nimbin gesehen, ja nie gefunden. Was wir inzwischen wissen, ist, daß Evans White mehr als normal von blonden Frauen angetan ist. Er hatte eine unausgeglichene Kindheit, und es wäre interessant, mehr über das Verhältnis zu seiner Mutter zu erfahren. Er hat nie eine feste Arbeit oder einen festen Wohnsitz gehabt. Es war deshalb schwierig, seine Bewegungen nachzuvollziehen. Es ist sicher nicht ausgeschlossen, daß er heimlich ein Verhältnis mit Otto Rechtnagel hatte, und es ist auch nicht unmöglich, daß er Otto auf seinen Tourneen gefolgt ist. Vielleicht hat er sich ein Hotelzimmer angemietet und seine Opfer an den jeweiligen Auftrittsorten gefunden. Aber das ist wirklich nur eine Theorie.«
»Vielleicht ist Otto Rechtnagel der Serienmörder«, sagte Wadkins. »Vielleicht wurden Rechtnagel und Kensington von jemand anderem getötet, jemand, der mit den ersten Morden gar nichts zu tun hat.«
»Centennial Park«, sagte Lebie. »Das war unser Serienmörder. Dafür verwette ich alles, was ich habe. Auch wenn ich da nicht allzuviel riskiere . . .«
»Lebie hat recht«, unterstützte ihn Harry. »Er ist noch irgendwo dort draußen.«
»Gut«, sagte McCormack, »ich stelle fest, daß unser Freund Holy dazu übergegangen ist, Begriffe wie ›nicht ausgeschlossen‹ oder ›nicht unmöglich‹ zu verwenden, wenn er seine Theorien vorbringt, was sicher klug ist. Mit übertriebener Sicherheit können wir nichts erreichen. Außerdem sollte inzwischen wohl allen klar sein, daß wir es mit einem verdammt intelligenten Mann zu tun haben. Und einem ebenso selbstsicheren. Er hat uns die Antworten geliefert, die wir haben wollten, uns den Mörder auf einem Silbertablett präsentiert und rechnet jetzt wohl damit, daß wir uns mit diesen Antworten begnügen. Daß wir den Fall als erledigt ansehen, weil sich der Schuldige das Leben genommen hat. Als er mit dem Zeigefinger auf Kensington deutete, wußte er natürlich, daß wir die Sache nicht an die große Glocke hängen würden – verdammt klug, das Ganze !«
McCormack schaute Harry an und sagte abschließend:
»Da wir die Sache nicht an die große Glocke hängen wollen, müssen wir weitere Nachforschungen unterlassen. Unser Vorteil ist, daß er sich in Sicherheit glaubt. Menschen, die sich sicher fühlen, sind oft unvorsichtig. Für uns ist es jetzt wichtig, zu entscheiden, wie wir weiter vorgehen wollen. Wir haben einen Verdächtigen und können uns keinen weiteren Fehler erlauben. Das Problem ist, daß wir nicht allzu viele Wellen machen dürfen, um den dicken Fisch nicht zu vertreiben. Wir müssen eiskalt abwarten, bis wir den großen Fisch ganz deutlich erkennen – und zwar so deutlich, daß wir uns nicht täuschen, und so nah, daß wir ihn nicht verfehlen können – erst dann dürfen wir die Harpune schleudern.«
Er schaute in die Runde. Alle nickten zustimmend über den unbestreitbar gesunden Verstand ihres Chefs.
»Und um das wirklich zu erreichen, müssen wir defensiv, still und systematisch arbeiten«, fügte McCormack hinzu. »Da bin ich anderer Meinung«, sagte Harry.
Die anderen wandten sich ihm zu.
»Es gibt nämlich noch eine andere Möglichkeit, Fische zu fangen, ohne zu viele Wellen zu machen«, sagte Harry, »eine Schnur und ein Haken mit einem Köder, bei dem wir wissen, daß er anbeißen wird.«
Der Wind trieb Staubwolken vor sich her, die er auf dem Kiesweg aufwirbelte und über den kleinen steinernen Begrenzungswall des Friedhofs in Richtung der wenigen Menschen wehte, die sich dort versammelt hatten. Harry mußte die Augen zusammenkneifen. Der Wind riß an ihren Kragen und Rockschößen, so daß es aus einiger Entfernung aussah, als tanzten die Menschen, die sich an Andrew Kensingtons Grab versammelt hatten.
»Ein höllischer Wind«, flüsterte Wadkins während der Predigt des Pfarrers.
Harry stand da und hoffte, daß Wadkins unrecht hatte. Natürlich konnte man nicht wissen, welches Ziel der Wind hatte, er schien es aber auf jeden Fall sehr eilig zu haben. Und wenn er hier war, um Andrews Seele mitzunehmen, dann konnte man auf keinen Fall behaupten, daß er seine Arbeit liederlich machte. Die Seiten der Gesangsbücher flatterten ebenso wie die grüne Plane, mit der die Erdhaufen an beiden Seiten des Grabes abgedeckt waren. All jenen, die keine Hüte festhalten mußten, blieb nichts anderes übrig, als den anderen bei deren verzweifelten Bemühungen, diese
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