Der Fledermausmann
sich gab, oder drehte es sich eher um eine sogenannte verminderte Zurechnungsfähigkeit.
»Wie Sie wollen, Mr. White«, sagte Andrew. »Flugticket, Kost und Logis, Rechtsanwalt und PR als Hauptverdächtiger des Mordfalls, alles gratis.«
»Big deal. Dann bin ich in 48 Stunden also wieder draußen.«
»Und dann bieten wir Ihnen eine Gratisüberwachung rund um die Uhr, einen Weckdienst umsonst, damit wir wissen, ob Sie nachts wirklich zu Hause sind und vielleicht sogar ein paar überraschende Razzien. Und wer weiß, was wir dann finden werden?«
Evans trank den Rest Bier, blieb aber sitzen und knibbelte an dem Bieretikett herum.
»Was wünschen die Herren zu erfahren?« sagte er mürrisch. »Alles, was ich weiß, ist, daß sie plötzlich eines Tages verschwunden war. Ich mußte nach Sydney, also hab ich versucht, sie anzurufen, aber sie war weder auf der Arbeit noch zu Hause, und als ich dann in die Stadt komme, lese ich in der Zeitung, daß sie ermordet aufgefunden worden ist. Zwei Tage lang bin ich wie ein Zombie durch die Straßen gelaufen. Ichmeine, er-mor-det? Wie groß ist die statistische Wahrscheinlichkeit dafür, sozusagen zu Tode gequetscht zu werden?«
»Nicht gerade groß. Sie haben also ein Alibi für den Zeitpunkt der Tat? Das ist gut . . .« sagte Andrew und schrieb etwas auf.
Evans zuckte zusammen.
»Alibi? Wie meinen Sie das? Ich bin, verdammt noch mal, doch wohl kein Verdächtiger? Oder wollen Sie mir erzählen, daß die Polizei nach über einer Woche noch immer keine richtige Spur hat?«
»Wir untersuchen alle Spuren, Mr. White. Können Sie mir sagen, wo Sie sich in den zwei Tagen aufgehalten haben, bevor Sie nach Sydney kamen?«
»Hier auf dem Hof, natürlich.«
»Alleine?«
»Nicht ganz.« Evans grinste und warf die leere Bierflasche über die Schulter nach hinten. Sie drehte sich langsam um die eigene Achse, beschrieb einen eleganten Bogen und verschwand dann fast lautlos in dem Mülleimer vor der Küchenbank. Harry nickte anerkennend.
»Darf ich fragen, mit wem Sie zusammen waren?«
»Sie tun das ja doch. Aber okay, ich habe nichts zu verbergen. Es war eine Frau, Angeline Hutchinson. Sie wohnt hier in der Stadt.«
Harry schrieb es auf.
»Eine Geliebte?« fragte Andrew.
»So in etwa«, erwiderte Evans.
»Was können Sie uns über Inger Hoher erzählen? Wer war sie?«
»Äh, wir haben uns nicht so richtig lange gekannt, ich habe sie in Sydney getroffen, da in der Bar, wo sie gearbeitet hat. The Albury. Wir kamen ins Gespräch, und sie hat mir erzählt, daß sie für eine Reise nach Byron Bay sparte. Das ist nur ein paar Meilen von hier entfernt, deshalb habe ich ihr meine Telefonnummer in Nimbin gegeben. Ein paar Tage später hat siemich angerufen und gefragt, ob sie eine Nacht hier auf dem Hof übernachten könne. Sie blieb über eine Woche. Danach haben wir uns immer in Sydney getroffen, wenn ich dort war. So zwei-, dreimal. Sie verstehen ja vielleicht, daß es da nicht ganz gereicht hat, zu einem alten Ehepaar zu werden. Außerdem fing sie schon an zu nerven.«
»Zu nerven?«
»Ja, sie hatte meinen kleinen Jungen, Tom-Tom, wirklich ins Herz geschlossen und träumte von einer Familie und einem Haus auf dem Land. Das paßte mir nicht so richtig, aber ich ließ sie gewähren.«
»Gewähren? Warum denn?«
Evans rutschte auf seinem Stuhl herum.
»Sie gehörte zu denen, die am Anfang noch eine große Klappe haben, die aber, kaum daß du sie ein wenig unter dem Kinn kraulst und sagst, daß du sie liebst, weich wie Butter werden. Die wissen dann kaum noch, wie sie dich noch weiter verwöhnen sollen.«
»Sie war also ein rücksichtsvolles, liebes Mädchen?« fragte Harry.
Evans fühlte sich bei der Richtung, die das Gespräch nahm, ganz offensichtlich nicht mehr wohl.
»Ja, wahrscheinlich schon. Aber ich kannte sie ja, wie gesagt, nicht so gut. Sie hatte ihre Familie in Norwegen so lange nicht gesehen, vielleicht fehlten ihr einfach . . . Menschen, jemand, der da war, nicht wahr? Aber was weiß ich denn? Sie war ganz einfach ein dummes, romantisches Mädchen. Sie hatte ganz bestimmt nichts Böses . . .«
Evans Stimme war plötzlich ein wenig brüchig, und es wurde still in der Küche. Entweder war er ein guter Schauspieler, oder er zeigte auf einmal doch noch menschliche Regungen, dachte Harry.
»Wenn Sie dieser Beziehung keine Zukunft gegeben haben, warum haben Sie sich dann nicht von ihr getrennt?«
»Ich war wohl schon auf dem Wege dahin. Stand irgendwiein der Tür und
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