Der Fledermausmann
hatte Andrew das Tageslicht im Rücken, so daß der herabbaumelnde Körper nur eine fremde, schwarze Silhouette vor dem Fenster war. Harry schlug dem Schöpfer vor, einen anderen am Ende der Leitung zu befestigen, bevor er sich wieder erhob. Er versprach, niemandem gegenüber ein Wort über dieses Wunder zu sagen. Es war nur als Vorschlag gedacht. Nicht als Gebet. Jedenfalls nicht, wenn Gebete nichts halfen.
Er hörte Schritte im Flur und Lebie, der plötzlich aus der Küche brüllte: »Raus, Sie fettes Monster !«
Nach der Beerdigung seiner Mutter war Harry fünf Tage lang nur mit dem Gefühl herumgerannt, etwas fühlen zu müssen. Man sagte ihm, die Realisierung der Trauer würde bei Männern, die ihr Leben lang trainiert hätten, ihre Gefühle im Zaum zu halten, oft auf sich warten lassen. Es überraschte ihn deshalb, daß er zwischen den Kissen im Sofa versank und spürte, wie sich seine Augen füllten und sich der Schmerz einen Weg durch den Hals nach oben bahnte.
Nicht, daß er nicht schon früher einmal geweint hätte. Er hatte den Klumpen in seinem Hals gespürt, als er alleine in seinem Zimmer in der Kaserne in Bardufoss gehockt und indem Brief von Kristin gelesen hatte, daß ». . . es das Beste ist, was mir in meinem Leben je widerfahren ist . . .«. Aus dem Zusammenhang ging aber nicht klar hervor, ob sie ihn meinte oder den englischen Musiker, mit dem sie fort wollte. Er wußte nur, daß es das Schlimmste war, was ihm in seinem Leben je widerfahren war. Trotzdem waren die Tränen irgendwo in seinem Hals steckengeblieben. Wie eine Übelkeit, so daß er sich fast hatte übergeben müssen.
Er stand auf und schaute nach oben. Andrew war nicht ausgetauscht worden. Harry glaubte, ein paar Schritte vorgehen und den Stuhl wieder aufrichten zu müssen, damit Andrew auf etwas stehen konnte, wenn sie ihn abschnitten, aber er konnte sich nicht bewegen. Er stand noch immer so da, als Lebie mit einem Küchenmesser ins Zimmer kam. Als Lebie ihn so merkwürdig anschaute, bemerkte Harry, daß warme Tränen über seine Wangen rollten.
Mein Gott, ist das nicht schlimmer, dachte Harry verwundert.
Ohne etwas zu sagen, schnitten sie Andrew ab, legten ihn auf den Boden und durchsuchten seine Taschen. Er hatte zwei Schlüsselbunde bei sich, einen kleinen und einen größeren, sowie einen losen Schlüssel, der, wie Lebie sogleich überprüfte, zur Eingangstür paßte.
»Keine Zeichen für äußere Gewalteinwirkung«, sagte Lebie nach flüchtiger Überprüfung.
Harry knöpfte Andrews Jacke auf. Auf seine Brust war ein Krokodil tätowiert. Harry schob auch die Hosenbeine hoch und überprüfte die Beine.
»Nichts«, sagte er, »überhaupt gar nichts.«
»Wir müssen warten, was der Arzt sagt«, brummte Lebie. Harry spürte wieder, wie die Tränen kamen und zuckte nur mit den Schultern.
Sie schoben sich durch den Vormittagsstau zurück zur Dienststelle.
»Merde«, schrie Lebie und drückte wütend auf die Hupe.
Harry hatte The Australian in der Hand, der Clownsmord nahm die ganze Titelseite ein. »In seiner eigenen Todesmaschine zerhackt«, stand unter dem Bild der blutigen Guillotine. Ein kleineres Bild zeigte Otto Rechtnagel im Clownskostüm, es war das Bild aus dem Programmheft.
Die Reportage war in einem leichten, fast humoristischen Ton gehalten, vermutlich aufgrund des bizarren Charakters des Falles. »Aus unerklärlichen Gründen ließ der Mörder den Kopf des Clowns am Körper«, schrieb der Reporter, der weiterhin schloß, daß der Mord sicher nicht stellvertretend für die generelle Einstellung des Publikums gewesen sei: ». . . so schlecht sei die Vorstellung nämlich nicht gewesen«. Etwas säuerlich lobte er die Polizei dafür, ungewöhnlich schnell am Tatort gewesen zu sein. »Aber trotzdem hatte Kriminalchef Wadkins von der Polizei in Sydney keine weitergehenden Kommentare abzugeben, als daß die Polizei die Mordwaffe sichergestellt habe . . .« Harry las laut vor.
»Sehr witzig«, sagte Lebie, hupte und zeigte einem Taxifahrer, der sich vor ihnen auf ihre Spur schob, den Finger. »Your mother is a . . .!«
»Diese Nummer, in der der Kerl den Vogel jagt . . .«
Der Satz blieb unvollendet zwischen zwei Ampeln hängen. »You said . . .«, fragte Lebie.
»Nein, nichts. Ich habe mich nur über diese eine Nummer gewundert, sie macht irgendwie keinen Sinn. Ein Jäger, der glaubt, einen Vogel zu jagen und plötzlich entdeckt, daß seine Beute eine Katze ist, also etwas, das selbst Vögel jagt.
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