Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fledermausmann

Der Fledermausmann

Titel: Der Fledermausmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
Vom Netzwerk:
obersten Brett lagen sie ordentlich übereinandergestapelt und schauten ihn wie eine Horde von Miniatur-Sprengköpfen an: ein paar Dutzend vakuumverpackter Einwegspritzen.
    Andrew Kensington hätte natürlich zuckerkrank sein können und sich Insulinspritzen setzen müsssen, doch Harry wußte es besser. Wenn sie das halbe Haus abgerissen hätten, wäre sicher der Rest der Aussteuer zum Vorschein gekommen: Fixerbesteck und Pulver, aber das war gar nicht nötig. Harry wußte, was er wissen mußte.
    Dschingis Khan hatte nicht gelogen, als er sagte, Andrewsei Junkie. Harry hatte eigentlich auch nicht mehr daran gezweifelt, nachdem sie ihn in Ottos Wohnung gefunden hatten. In einem Klima, das größtenteils kurzärmelige Hemden und T-Shirts erfordert, kann ein Polizist nicht mit Unterarmen voller Einstiche herumrennen. Er muß sich die Spritzen an Stellen setzen, wo die Einstiche nicht so leicht zu sehen sind – zum Beispiel auf der Rückseite der Beine. Andrews Beine und Kniekehlen waren voll davon gewesen.
     
    Andrew war Kunde des Typen mit der Rod-Stewart-Stimme, solange Dschingis Khan zurückdenken konnte. Er meinte, Andrew gehöre zu den Menschen, die Heroin nehmen und trotzdem jobmäßig und sozial ein annähernd normales Leben führen. »Das ist wirklich nicht so ungewöhnlich, wie man meint«, hatte Dschingis gesagt.
    »Aber als Speedy über Umwege erfuhr, daß der Kerl ein Bulle war, wurde er total panisch und wollte ihn abknallen. Dachte wohl, er sei V-Mann oder so was, aber wir haben ihm das ausgeredet. Der Kerl war ja schon ewig einer von Speedys besten Kunden. Kein Feilschen, immer die Kohle klar, kein Rumgelaber, hielt sich an Absprachen und das alles. Ich kenne keinen Aborigine, der Dope so gut verkraftet. Ach Scheiße, ich kenne überhaupt keinen, der das so gut packt !«
    Er hatte keine Ahnung, ob Andrew jemals mit Evans White gesprochen hatte.
    »White hat hier unten nichts mit den Kunden zu schaffen, er ist Großhändler, sonst nichts. Aber manchmal dealt er ein bißchen in King's Cross auf der Straße, habe ich gehört. Ich hab keinen blassen Schimmer, wieso, Kohle hat er jedenfalls genug. Aber, ich glaube, er hat schon wieder aufgehört – hatte anscheinend irgendwie Probleme mit ein paar Huren.«
    Dschingis hatte alles ganz frei erzählt. Offener als notwendig, um seine Haut zu retten. Ja, er schien fast Gefallen daran gefunden zu haben. Er mußte damit gerechnet haben, daß Harry wohl keine sonderlich große Gefahr war, jedenfallssolange, wie einer seiner Kollegen auf ihrer Kundenliste stand.
    »Du kannst den Kerl von mir grüßen und ihm ausrichten, daß er jederzeit wieder willkommen ist. Wir sind nicht nachtragend«, hatte Dschingis zum Schluß mit einem breiten Grinsen gesagt. »Egal, wer sie sind, die kommen immer alle wieder zurück, alle !«
    Harry ging ins Schlafzimmer, wo sich Lebie ohne großen Enthusiasmus durch Unterhosen und Papiere wühlte.
    »Gibt es etwas Interessantes?« fragte Harry.
    »Nein, nichts Besonderes. Und bei dir?«
    »Nichts.«
    Sie schauten sich an.
    »Laß uns gehen«, sagte Harry.
     
    Der Wachmann des St. George-Theaters saß im Pausenraum und erinnerte sich noch vom Vortag an Harry. Er sah beinahe erleichtert aus.
    »E-e-endlich jemand, der nicht hierherkommt, um zu fragen und zu bohren, wie das alles aussah. D-d-den ganzen Tag schwärmen hier schon die Journalisten herum«, sagt er. »Plus diese Sp-p-puren-Leute von Ihnen. Aber die haben ja genug zu tun, d-d-die stören uns nicht.«
    »Ja, die haben da drinnen wohl genug zu tun.«
    »Uff, ja. Ich habe heute nacht kein Auge zugetan. Meine Frau mußte mir schließlich eine von ihren Schlaftabletten g-g-geben. So was sollte man möglichst nicht erleben. Aber Sie sind wohl an so was gewöhnt, Sie . . .«
    »Na, das war wirklich etwas heftiger als normal.«
    »Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder in diesen Raum werde gehen können.«
    »Oh, Sie werden darüber hinwegkommen.«
    »Ach, hören Sie mir zu. Ich kann wirklich nicht mehr vom Requisitenraum reden, ich sage nur noch ›der‹ Raum.« Der Wachmann schüttelte verzweifelt den Kopf.
    »Das braucht sicher seine Zeit«, sagte Harry. »Glauben Sie mir, ich habe mit so etwas meine Erfahrungen.«
    »Ich hoffe, Sie haben recht, Konstabel.«
    »Nennen Sie mich Harry.«
    »Kaffee, Harry?«
    Harry nahm gerne einen und legte den Schlüsselbund vor ihnen auf den Tisch.
    »Ah, da ist er ja«, sagte der Wachmann. »Der Schlüsselbund, den sich Rechtnagel ausgeliehen hat.

Weitere Kostenlose Bücher