Der Fledermausmann
die Ginfahne des Professors riechen.
»Oh, ja, natürlich. Kensington. Eine traurige Sache. Ich habe ein paarmal mit ihm gesprochen. Als er noch lebte, natürlich. Jetzt liegt er stumm wie ein Fisch in dieser Schublade dort.«
Engelssohn machte mit dem Daumen eine Bewegung nach hinten.
»Das bezweifle ich nicht, Doktor. Was haben Sie herausgefunden?«
»Hören Sie, Mr. . . . wie war doch gleich Ihr Name? . . . Holy, ja! Wir haben hier eine lange Schlange von Leichen, die alle als erste an der Reihe sein wollen. Ja, nicht die Leichen, natürlich, aber die Ermittler. Aber alle müssen schön warten, bis sie an der Reihe sind. So sind halt die Regeln, keiner schleicht sich da vorbei, verstehen Sie? Heute morgen also, als der große Häuptling McCormack persönlich anrief und befahl, der Untersuchung eines Selbstmordopfers Priorität zu geben, bin ich neugierig geworden. Ich bin nicht mehr dazu gekommen, McCormack zu fragen, aber vielleicht können Sie, Mr. Hogan, mir sagen, was an diesem Kensington denn so Besonderes ist?«
Er warf verächtlich den Kopf in den Nacken und pustete Harry wieder seine Ginfahne in die Nase.
»Nun, wir hoffen, daß Sie uns da weiterhelfen können, Doktor! Gibt es etwas Besonderes?«
»Besonderes? Was meinen Sie mit Besonderes? Ob er drei Beine hatte, vier Lungen oder eine Brustwarze auf dem Rücken?«
Harry war müde. Was er jetzt am wenigsten gebrauchen konnte, war ein angetrunkener Gerichtsmediziner, der sich aufspielte, weil er sich auf den Schlips getreten fühlte. Und Menschen mit Staatsexamen haben oft teure Schlipse.
»Gab es etwas . . . Ungewöhnliches?« formulierte Harry seine Frage neu.
Engelssohn schaute ihn mit leicht verschleiertem Blick an. »Nein«, sagte er. »Es gab nichts Ungewöhnliches, überhaupt nichts Ungewöhnliches.«
Der Doktor schaute ihn noch immer mit leicht schwankendem Kopf an, und Harry sah, daß er noch nicht alles gesagt hatte. Er hatte nur eine Kunstpause gemacht, die ihm und seinem alkoholbenebelten Hirn bestimmt nicht so übertrieben lang vorkam wie Harry.
»Hier bei uns ist es nicht ungewöhnlich«, fuhr der Doktor schließlich fort, »daß die Leichen bis zum Rand voll mit Dopesind. In diesem Fall: Heroin. Das Besondere muß wohl sein, daß er Polizist war, aber da wir nur selten Kollegen von Ihnen hier auf den Tischen haben, weiß ich nicht, wie besonders das ist.«
»Todesursache?«
»Sagten Sie nicht, Sie hätten ihn gefunden? Was glauben Sie, woran man stirbt, wenn man mit einem Stromkabel um den Hals von einer Decke herabhängt? An Keuchhusten?«
Es begann in Harry langsam zu brodeln, aber noch gelang es ihm, die Fassung zu bewahren.
»Er starb also an Sauerstoffmangel, nicht an einer Überdosis?«
»Bingo, Hogan!«
»Gut, nächste Frage: Wann ist der Tod eingetreten?« »Sagen wir mal zwischen Mitternacht und zwei Uhr morgens.«
»Präziser geht es nicht?«
»Sind Sie glücklicher, wenn ich sage ›vier Minuten nach eins‹?« Die roten Wangen des Mediziners waren noch röter geworden. »Gut, dann sagen wir vier Minuten nach eins.«
Harry atmete ein paarmal tief ein und aus.
»Entschuldigen Sie, wenn ich mich so ausdrücke . . . wenn ich frech gewirkt habe . . . Doktor, aber mein Englisch ist nicht immer so . . .«
». . . wie es sein sollte«, beendete Engelssohn seinen Satz.
»Genau. Sie sind ganz ohne Zweifel ein sehr beschäftigter Mann, Doktor, ich will Sie also nicht noch länger stören, ich brauche nur noch Ihre Bestätigung dafür, daß Sie verstanden haben, daß Mr. McCormack darum gebeten hat, den Obduktionsbericht nicht über den üblichen Dienstweg, sondern persönlich zugestellt zu bekommen.«
»Das geht wohl kaum. Diesbezüglich habe ich klare Vorschriften, Horgan. Das können Sie McCormack gerne mit den besten Grüßen ausrichten.«
Der kleine, verrückte Professor stand breitbeinig undselbstsicher mit verschränkten Armen vor Harry. Seine Augen glänzten jetzt kampfbereit.
»Vorschriften? Ich weiß nicht, welchen Stellenwert die Vorschriften bei der Polizei in Sydney haben, aber dort, wo ich herkomme, sind die Vorschriften dazu da, daß die Menschen auch dann wissen, was sie zu tun haben, wenn sie keine Anweisungen von ihren Vorgesetzten bekommen haben«, sagte Harry.
»Vergessen Sie das, Horgan. Berufsethik hat bei Ihnen wohl kaum einen sonderlich hohen Stellenwert, ich glaube also nicht, daß man mit Ihnen eine auch nur ansatzweise fruchtbare Diskussion über dieses Thema führen könnte. Sollen wir
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