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Der Fledermausmann

Der Fledermausmann

Titel: Der Fledermausmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Frognercafés getroffen. Kristin hatte erzählt, daß sie zwei Monate lang hierbleiben würde. Sie war braungebrannt und fröhlich und lächelte ihr altes Lächeln über das Bierglas, und er wußte genau, was er zu tun und zu sagen hatte. Es war wie ein altes Lied auf dem Klavier zu spielen, das man geglaubt hatte, vergessen zu haben – der Kopf war leer, doch die Finger fanden sich zurecht. Sie hatten sich total vollaufen lassen, aber das war noch bevor es darum ging, sich zu betrinken, so daß sich Harry an alles erinnern konnte. Sie waren mit der Straßenbahn in die Stadt gefahren, und Kristin hatte sie beide durch ihr Lächeln an der Schlange des Sardine's vorbeigeschleust. In der Nacht, verschwitzt vom Tanzen, hatten sie ein Taxi hinauf nach Frogner genommen, waren über den Zaun der Badeanstalt und dann auf den Sprungturm geklettert. Zehn Meter über dem menschenleeren Park hatten sie eine Flasche Wein getrunken, über die Stadt geschaut und sich gegenseitig erzählt, was sie werden wollten, und immer war es etwas anderes als beim letzten Mal. Dann hatten sie sich an den Händen gefaßt, Anlauf genommen und waren über die Kante in die Tiefe gesprungen. Während sie fielen, hörte er nur ihren Schrei, der in seinen Ohren wie ein wunderbar übersteuerter Brandalarm klang. Er hatte laut lachend am Rand des Beckens gelegen, als sie aus dem Wasser stieg und mit eng am Körper klebendem Kleid auf ihn zukam.
    Am nächsten Morgen waren sie eng umschlungen in seinem Bett aufgewacht, verschwitzt, verkatert und geil, und er hatte die Tür zum Balkon geöffnet und war mit einer auf und ab hüpfenden Erektion zurückgekommen, auf die sie sich geradewegs gestürzt hatte. Sie hatten sich besinnungslos gevögelt, klug und innig, und der Lärm der spielenden Kinder verstummte im Innenhof, als der Brandalarm erneut ertönte.
    Erst später hatte sie diese unbegreifliche Frage gestellt:
    »Was soll das Ganze?«
    Was sollte das Ganze, wenn ja doch nichts aus ihrer Beziehung werden würde? Weil sie nach England zurück mußte, weil er so egoistisch war und sie so unterschiedlich waren, daß sie ja doch niemals heiraten, Kinder kriegen und ein Haus bauen würden. Weil es doch zu nichts führte.
    »Sind nicht die letzten vierundzwanzig Stunden Grund genug?« hatte Harry gefragt. »Was, wenn sie morgen eine Geschwulst in deiner Brust feststellen? Was soll das Ganze dann? Wenn du mit deinem Haus dasitzt, deinen Kindern, einem blauen Auge und hoffst, daß dein Mann einschläft, bevor du zu Bett gehst, was soll das Ganze dann? Bist du wirklich sicher, daß du mit deinem meisterhaften Plan das Glück einfangen kannst?«
    Sie hatte ihn unmoralisch genannt, als Hedonisten beschimpft und gesagt, es gebe im Leben mehr als nur Vögeln.
    »Ich begreife ja, daß du all das da willst«, hatte er erwidert, »aber du brauchst genau das andere, um einen Schritt auf deinem Weg zu diesem rosa Glücks-Nirwana weiterzukommen! Wenn du im Altersheim hockst, wirst du die Farbe des Services, das du zur Hochzeit bekommen hast, vergessen haben, aber ich bin mir verdammt noch mal sicher, daß du dich an den Sprungturm erinnern wirst und daran, wie wir es anschließend am Beckenrand getrieben haben.«
    Eigentlich sollte sie die Boheme sein, die Unkonventionelle, diejenige von ihnen beiden, die das Leben genoß, doch das letzte, was sie sagte, bevor sie durch seine Tür hinausmarschierteund sie schließlich zuknallte, war, daß er nichts verstehe und endlich erwachsen werden müsse.
     
    »Was soll das Ganze?« schrie Harry, und ein Passant auf der Harmer Street drehte sich um.
    Wußte es Birgitta auch nicht? Hatte sie Angst, daß die Gefühle zu stark werden könnten, weil er morgen fahren mußte? Zog sie deshalb die Telefongeburtstagsgesellschaft aus Schweden vor? Natürlich hätte er sie ganz konkret zur Rede stellen müssen, aber wie gesagt, was sollte das Ganze?
    Harry spürte, wie müde er war und wußte, daß er nicht würde schlafen können. Er drehte um und ging zurück zu der Bar. An der Decke hingen Leuchtstoffröhren, in deren Verkleidung tote Insekten lagen, und an den Wänden standen Spielautomaten. Er setzte sich an einen Tisch am Fenster, wartete auf den Kellner und entschloß sich, nichts zu bestellen, wenn ihn niemand ansprach. Er wollte sich einfach nur hinsetzen.
    Der Kellner kam und fragte nach seiner Bestellung, und Harry schaute lange auf die Getränkekarte, bevor er um eine Cola bat. Er hatte Birgitta gebeten, auf Andrews Beerdigung zu

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