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Der Fledermausmann

Der Fledermausmann

Titel: Der Fledermausmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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versuchte er, an einem Gedanken festzuhalten, aber immer wieder kamen neue, die den alten verdrängten. Vielleicht hatte McCormack recht – vielleicht war es einfach nur ein heißer Tag für eine malträtierte Seele.Harry vermochte nicht an die Alternative zu denken – daß es noch mehr gab. Daß Andrew Kensington noch mehr zu verbergen hatte, daß er vor mehr davonrannte als vor der Bloßstellung, hin und wieder auch Männerbeine zu mögen.
    Ein Schatten fiel auf ihn, und er blickte hoch. Der Kopf des Kellners verdeckte das Licht, und in der Silhouette glaubte Harry, Andrews blauschwarze Zunge heraushängen zu sehen.
    »Noch einen Wunsch, Sir?«
    »Ich habe gesehen, daß Sie hier einen Drink haben, der Black Snake heißt . . .«
    »Jim Beam und Cola.«
    Sein Magen zog und zerrte jetzt wie wild.
    »Gut. Bringen Sie mir einen doppelten Black Snake ohne Cola.«
     
    Harry hatte sich verlaufen. Vor ihm lagen Treppen, hinter ihm Wasser und noch mehr Treppen. Das Chaosniveau stieg an, die Masten dort draußen in der Bucht schwangen hin und her, und er hatte keine Ahnung, wie er hier bei all diesen Treppen gelandet war. Er entschloß sich, nach oben zu gehen. »Immer nach oben«, pflegte Vater zu sagen.
    Es ging nicht ganz ohne Probleme, aber mit Hilfe der Hauswände kämpfte er sich nach oben. Auf einem Schild stand Challis Avenue, aber das sagte ihm nichts, also ging er weiter geradeaus. Er versuchte, auf die Uhr zu schauen, konnte sie aber nicht finden. Es war dunkel, und die Straßen waren beinahe leer, so daß Harry annahm, es sei spät. Als er schließlich wieder zu einer Treppe kam, bog er nach rechts in die Macleay Street ab. Er wollte keine weiteren Stufen mehr bezwingen müssen. Er mußte bereits eine ganze Weile gegangen sein, denn seine Fußsohlen brannten. Oder war er gelaufen? Ein Riß in der Hose an seinem linken Knie verriet etwas von einem möglichen Sturz.
    Er ging an ein paar Bars und Restaurants vorbei, aber alle waren geschlossen. Auch wenn es spät war, mußte es doch ineiner Millionenstadt wie Sydney noch irgendwo möglich sein, einen Drink zu bekommen? Er lief auf die Straße und winkte einem gelben Taxi zu, dessen Schild auf dem Dach leuchtete. Der Wagen bremste, entschied sich dann aber doch anders und beschleunigte wieder.
    Scheiße, sehe ich so schlimm aus, dachte Harry und kicherte.
    Weiter oben in der Straße begegneten ihm immer mehr Menschen, er nahm das anziehende Rauschen von Stimmen, Autos und Musik wahr, und als er um die nächste Ecke bog, wußte er plötzlich wieder, wo er war. Vor ihm lagen King's Cross und die Darlinghurst Road mit ihrem Lärm und den blinkenden Lichtern. Jetzt hatte er wieder alle Möglichkeiten. In der ersten Bar verwehrte man ihm den Eintritt, aber in einer kleinen chinesischen Bude servierte man ihm Whiskey in einem großen Plastikbecher. Es war voll und eng dort drinnen. Die Spielautomaten an den Wänden machten einen unerträglichen Lärm. So ging er wieder auf die Straße hinaus, nachdem er den Inhalt des Bechers hinuntergekippt hatte. Er hielt sich an einem Pfosten fest, schaute den vorbeifahrenden Autos nach und versuchte, die aufkommende Erinnerung loszuwerden, daß er sich früher am Abend irgendwo in einer anderen Bar übergeben hatte.
    Während er so dastand, spürte er, daß ihm jemand auf den Rücken tippte. Er drehte sich um und sah einen großen roten Mund und dann, als er sich öffnete, daß diesem Mund ein Eckzahn fehlte.
    »Ich habe das mit Andrew gehört. Es tut mir leid«, sagte der Mund. Dann kaute er weiter auf seinem Kaugummi. Er gehörte Sandra.
    Harry versuchte, etwas zu sagen, aber seine Aussprache mußte sehr schlecht gewesen sein, denn Sandra schaute ihn nur verständnislos an.
    »Hast du Zeit?« fragte er sie schließlich.
    Sandra lachte. »Yes, but I don't think you're up to it.«
    »Ist das denn eine Voraussetzung?« stammelte Harry mit viel Mühe.
    Sandra schaute sich um. Harry glaubte, dort im Schatten den Schimmer eines glatten Anzugs gesehen zu haben. Teddy Mongabi war sicher nicht weit.
    »Hör mal, ich bin jetzt bei der Arbeit. Vielleicht solltest du nach Hause gehen und dich ausschlafen, wir können morgen miteinander reden.«
    »Ich kann dich bezahlen«, sagte Harry und begann, sein Portemonnaie herauszuzerren.
    »Pack das weg!« zischte Sandra und drückte die Geldbörse wieder zurück in die Tasche. »Ich komme mit, und du gibst mir ein bißchen Geld, aber nicht hier, verstanden?«
    »Laß uns in mein Hotel gehen, das ist

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