Der Fledermausmann
Fall hoffen können, daß es das eine oder andere subversive Element von den Straßen entfernt, und Journalisten, die sich gerne als Idealisten verstanden wissen,weil sie nach oben kommen, wenn sie berichten, wie andere die Spielregeln verletzen, und das Ganze für Gerechtigkeit. Aber die Wahrheit?
Die Wahrheit ist doch, daß niemand von der Wahrheit lebt und die Wahrheit deshalb niemanden interessiert. Die Wahrheit, die wir uns erschaffen, ist doch nur die Summe von all dem, was den Menschen zum eigenen Vorteil dient, und noch dazu abhängig davon, welche Macht sie innehaben.«
Er blickte Harry fest an.
»Wen also interessiert die Wahrheit über Andrew Kensington? Wem ist damit gedient, daß wir eine häßliche, verdrehte Wahrheit mit scharfen Ecken und Kanten erschaffen, die überall herausragen, weil sie nicht ins Bild passen wollen? Nicht dem Polizeipräsidenten, nicht den Politikern in der Stadtverwaltung. Nicht denen, die sich für die Rechte der Aborigines einsetzen. Nicht der Polizeigewerkschaft. Nicht unserer Botschaft. Niemandem. Oder?«
Harry hatte Lust, Inger Holters Angehörige zu erwähnen, aber er ließ es bleiben. McCormack blieb vor dem Porträt der jungen Königin Elisabeth II. stehen.
»Ich würde es vorziehen, wenn das, was Sie mir erzählt haben, unser Geheimnis bliebe, Holy. Sie begreifen sicher, daß es so am besten ist?«
Harry zupfte ein langes rotes Haar von seiner Hose.
»Ich habe mit dem Büro des Bürgermeisters gesprochen«, sagte McCormack. »Damit das alles nicht zu auffällig ist, geben wir dem Fall Inger Holter noch eine Weile Priorität. Wenn wir nichts mehr finden, werden sich die Menschen schon damit abfinden, daß der Clown das norwegische Mädchen getötet haben muß. Wer wiederum den Clown auf dem Gewissen hat, dürfte ein bißchen schwieriger zu erklären sein, aber vieles deutet ja darauf hin, daß es sich um ein crime passionel, ein Eifersuchtsdrama handelt, vielleicht ein heimlicher, betrogener Liebhaber, wer weiß? In solchen Fällen können die Menschen damit leben, wenn der Täter unerkannt bleibt. Natürlichwird nichts irgendwie bewiesen, aber die Indizien sind klar, und nach einer gewissen Zeit gerät der ganze Fall in Vergessenheit. Daß es das Machwerk eines Serienmörders sein könnte, war bloß eine mögliche Theorie, mit der die Polizei kurze Zeit gearbeitet, die sie dann aber verworfen hat.«
Harry machte Anstalten zu gehen. McCormack räusperte sich.
»Ich bin dabei, Ihr Zeugnis zu schreiben, Holy. Ich werde es der Polizeipräsidentin zustellen, wenn Sie abgereist sind. Sie fahren morgen, nicht wahr?«
Harry nickte kurz und ging.
Die milde Abendbrise linderte seine Kopfschmerzen nicht. Und auch die versöhnliche Dunkelheit ließ das Bild nicht freundlicher werden. Harry rannte ziellos durch die Straßen. Ein kleines Tier huschte über den Weg im Hyde Park. Zuerst dachte er, es handele sich um eine große Ratte, aber als er in seiner Nähe war, sah er, daß es ein kleines Tier mit dichtem Pelz war. Die Lichter der Lampen reflektierten in den Augen, die zu ihm hinaufschauten. Harry hatte so ein Tier noch nie gesehen, glaubte aber, daß es ein Opossum war. Der Nager schien sich nicht vor ihm zu fürchten, ganz im Gegenteil, er hob den Kopf und schnupperte neugierig, wobei er merkwürdige Geräusche von sich gab.
Harry hockte sich hin.
»Fragst du dich auch, was du eigentlich mitten in dieser Riesenstadt sollst?«
Das Tier neigte als Antwort den Kopf zur Seite.
»Was meinst du, sollen wir morgen nach Hause fahren? Du in deinen Wald und ich in den meinen?«
Der Nager trollte sich, er wollte sich nicht überreden lassen, irgendwohin zu fahren. Er hatte sein Heim hier in diesem Park, zwischen den Autos, den Menschen und den Mülleimern.
Draußen bei Woollomolo ging er an einer Bar vorbei. Die Botschaft hatte angerufen. Er hatte versprochen, zurückzurufen.Was dachte Birgitta? Sie hatte nicht so viel gesagt. Er hatte aber auch nicht sonderlich viel gefragt. Sie hatte ihm nichts von ihrem Geburtstag heute erzählt, vielleicht weil sie fürchtete, daß er sonst irgendeine Dummheit machte. Irgendwie über das Ziel hinausschoß. Ihr ein viel zu teures Geschenk kaufte oder Dinge sagte, die unnötig waren, nur weil es der letzte Abend war und er ganz hinten in seinem Kopf ein schlechtes Gewissen hatte, weil er abreiste. »Was soll das Ganze?« fragte sie sich vielleicht.
Wie Kristin, als sie aus England zurückkam.
Sie hatten sich auf der Terrasse des
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