Der Fliegende Holländer
verlaufen war, und das Fehlen von Langeweile konnte er mit ziemlicher Bestimmtheit dem Einfluß dieser verflixten Buchhalterin zuschreiben. Vom Hubschrauber aus blickte Vanderdecker auf Stirling Castle – er hatte dort 1742 einen Hut vergessen, aber der war mittlerweile bestimmt schon unter den Hammer gekommen – und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Liebe? Liebe war ein Begriff, bei dem ihn mittlerweile ein gewisses Unbehagen beschlich. In seinem Alter war es nicht gut, die Dinge allzu ernst zu nehmen, und das Deprimierende an der Liebe war die Ernsthaftigkeit, die offenbar unabdingbar dazugehörte; genauso wie man heutzutage in keiner Kneipe mehr eine Bratwurst mit Pommes kriegt, ohne daß einem auch noch Salat mit auf den Teller geknallt wird. Angenommen, eine nähere Bekanntschaft mit Jane Doland könnte sein Leben erträglicher gestalten – was zweifellos vollkommen sicher war und die weitere Voraussetzung erforderte, daß Jane überhaupt Interesse daran hatte, sein Leben erträglich zu gestalten, was wiederum so sicher war wie die völlige Abschaffung der Einkommensteuer – all das mal angenommen plus der Tatsache, daß Jane Doland in ungefähr sechzig Jahren sterben würde (nach Vanderdeckers persönlicher Zeitrechnung lediglich die Zeitspanne eines Nachmittags), dann stünde er wieder vor demselben Scherbenhaufen wie jetzt und müßte, penetrant riechend, mit Johannes, Sebastian, Wilhelmus und den Jungs um die Welt segeln. Scheißspiel.
Da fiel es ihm ein: der Gestank. Selbst wenn Jane aufgrund irgendeiner unerklärlichen perversen Veranlagung den Wunsch verspüren sollte, ihm Gesellschaft zu leisten, dann wäre das infolge des Geruchs nur auf einem Schiff möglich, und er konnte von Jane in keiner Weise verlangen, den Rest ihres Lebens auf der Verdomde zu verbringen. Und selbst wenn sie dazu bereit wäre, würde dann ihre zugegebenermaßen ungewöhnlich anregende Gesellschaft ausreichen, das Leben an Bord dieses schwimmenden Sargs wirklich angenehmer zu gestalten? Sei realistisch, Vanderdecker. Natürlich nicht.
Dann also auf in den radioaktiven Tod! Aber so sehr er sich auch bemühte, wollte es ihm bei seiner unnachgiebigen und starrköpfigen inneren Einstellung einfach nicht gelingen, sich der Kraft dieser Argumente zu beugen. Er benötigte einen letzten zwingenden Grund. Doch so sehr er es auch versuchte, einen zu finden, erwies sich dies als ebenso schwierig, wie etwas wiederzufinden, das man Jahre zuvor an einem sicheren Ort versteckt hatte, um es nicht zu verlieren. Der Gedanke, daß er all das vorhatte, um die Bevölkerung Nordeuropas vor dem sicheren Untergang zu bewahren, eignete sich zwar, um damit wie mit einem auf- und abhüpfenden Ball im Kopf zu spielen, aber er mußte sich eingestehen, daß er es nicht fertigbrachte, dem Tod mit derselben offenen Feindseligkeit zu begegnen wie die meisten seiner Mitmenschen. Außerdem bestand noch die schreckliche und nach mathematischen Gesichtspunkten durchaus denkbare Möglichkeit, daß das ganze Ding in die Luft fliegen würde, sobald er sich mit seinen in wissenschaftlichen Dingen unbewanderten Weggefährten im Innern des Atomreaktors zu schaffen machte. Das würde zwar einen Schlußstrich unter Nordeuropa ziehen, ihn und seine Kollegen jedoch mit keinen schlimmeren Folgen als einer tiefen Schuld zurücklassen, und sein Problem wäre damit auch nicht gelöst, oder?
Der Professor hatte den größten Teil der Reise mit einem Taschenrechner und einer tragbaren kleinen Yamaha-Orgel (für seine Zecke gleichermaßen verwendbar) verbracht und sich an komplizierten Berechnungen und ähnlichem aufgehalten. Nun hatte er die Geräte beiseite gelegt und knabberte an einem Stück Rosinenkuchen. Es was schwer festzustellen, ob er nun ängstlich, unausgefüllt oder einfach nur hungrig war. Vanderdecker erhaschte seinen Blick, und über dem Dröhnen der Rotorblätter führten die beiden ihre erste längere Unterhaltung seit vielen Jahrhunderten.
»Also gut, Montalban«, begann Vanderdecker, wobei er sich Mühe gab, so freundschaftlich wie möglich zu klingen, »dann erzählen Sie mir mal, was Sie so alles auf die Beine gestellt haben, seit wir uns das letztemal gesehen haben.«
Der Professor blickte ihn fragend an. »Sie meinen, in bezug auf meine Arbeit?«
»Ja, aber auch ganz unabhängig davon.«
»Unabhängig von meiner Arbeit?«
»Richtig. Ich meine, was haben Sie in Ihrer Freizeit so getrieben? Hobbys, interessante Leute, gute Filme, so was
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