Der Fliegende Holländer
ergoß.
Kurz darauf folgte ich dem Regenbogen, weil ich während dieser Aktion dummerweise das Gleichgewicht verloren hatte – was in einem Ausguck ziemlich ärgerliche Folgen haben kann. Sollten wir uns jetzt nicht lieber wieder über Karl den Großen unterhalten? Nein? Gut, wie Sie wollen.
Jedenfalls können Sie mir glauben, daß es ein äußerst merkwürdiges Gefühl ist, aus großer Höhe zu fallen, und ich rate jedem davon ab, der nicht beim Finanzamt beschäftigt ist. Es scheint eine Ewigkeit zu dauern, und man hat nicht einmal richtig Angst, obwohl einem der logisch denkende Teil des Gehirns sagt, daß man garantiert sterben wird, sobald man landet. Natürlich landete auch ich irgendwann, und es war höchst unangenehm. Aber ich war nicht tot und hatte mir nicht einmal etwas gebrochen. Ich lag einfach nur auf dem Rücken da und kam mir wie ein Vollidiot vor. Die ganze Besatzung hatte sich um mich versammelt und starrte mich an, als sei mir gerade ein drittes Ohr gewachsen.
Nach einer Weile raffte ich mich auf und ging ein paarmal auf dem Deck auf und ab, und meine normalerweise treu ergebene Mannschaft schien allmählich das Interesse an mir zu verlieren. Die Jungs murmelten vor sich hin, daß einige Leute eben einen Schutzengel hätten, blickten noch einige Male zu mir herüber, um sicherzugehen, daß ich noch am Leben war und sie nicht zum Narren gehalten hatte, dann stürzten sich wieder alle aufs Bierfaß. Der einzige Mensch, der mit mir reden wollte, schien der Alchimist zu sein, und da ich mir ziemlich gut vorstellen konnte, was er mir zu sagen hatte, ließ ich zwischen ihm und mir ein Menge Platz auf dem Deck. Während er sich mir immer bedrohlicher näherte, ertönte plötzlich rings ums Bierfaß ohrenbetäubender Jubel.
Ich drängte mich nach vorn durch, und dort bot sich mir ein wundersamer Anblick – das Bier wurde tatsächlich klarer. Also hatte der Seetang letztendlich doch gewirkt. Es gab eine sehr kurze Unterbrechung, als sich die gesamte Besatzung auf alles stürzte, was als Gefäß dienen konnte. Danach gab es nur noch eine einzige Platsch- und Lärmorgie, während zwanzig unfreiwillige Abstinenzler die verlorene Zeit aufholten. Ich mußte meine ganze Autorität als Kapitän in die Waagschale werfen, ehe ich nahe genug ans Faß gelangt war, um mir mit einem Zinnbecher selbst etwas herauszuschöpfen.
Aufgrund der allgemeinen Begeisterung hatte ich den Alchimisten völlig vergessen. Als ich aus dem Pulk wieder hervortrat, der sich rings ums Faß gebildet hatte, baute er sich vor mir mit einem Gesicht auf, das auf mich nur eine Spur freundlicher als der Anblick von Sir Francis Drakes Kanonen wirkte. Meiner Meinung nach konnte ich ihn lediglich ein wenig aufmuntern.
›Hör mal‹, sagte ich, ›es tut mir wirklich leid, daß ich dein Bier verschüttet hab, aber es ist jetzt ja genug für alle da. Hol dir einen Krug und schlag zu.‹
›Das war kein Bier‹, korrigierte er mich.
›Dann war’s eben Porter, Ale, Birnenmost oder was weiß ich. Ist das so wichtig?‹ fragte ich.
›Ja‹, antwortete er, ›das war nämlich mein Elixier.‹
›Dein was?‹ fragte ich.
›Mein Elixier‹, wiederholte er. ›Der Stein der Weisen. Das Lebenselixier. Das lebenspendende Wasser.‹
Ich sah ihn stirnrunzelnd an; ich mag einfach keine überdrehten Bierkenner, Sie etwa? ›Na gut‹, sagte ich, ›es hat wirklich besser als das Bier aus unsrem Faß geschmeckt, aber nun laß uns mal nicht übertreiben, so einmalig war es nun auch wieder nicht. Außerdem soll es in Bristol ein ausgezeichnetes Bier geben.‹
›Das war kein Bier‹, wiederholte er in ernstem Ton. ›Das war ein Elixier.‹
Da klingelte es endlich in meinem Kopf, und erst da fiel mir wieder ein, daß ich kurz zuvor aus meinem eigenen Ausguck aufs Deck gefallen war und mir trotz der harten Eichenplanken nicht mal eine blutende Nase geholt hatte.
›Ein Elixier?‹ fragte ich ihn.
›Ja‹, sagte er. ›E wie Enrico, L wie Lorenzo, I wie Iachomo, X wie Xerxes, I wie Iago, E wie Elixier und R wie Roderigo. Elixier. Und du hast davon getrunken.‹
Ich fühlte mich plötzlich unwohl und fragte ihn, ob es mir gesundheitlich schaden könne.
Er grinste mich nur an und sagte: ›Das weiß ich nicht, aber offensichtlich wirkt es.‹
›Und woher weißt du das?‹ fragte ich ihn.
›Weil du das durch deinen Sturz aus dem Ausguck gerade selbst bewiesen hast‹, entgegnete er. ›Oder als was würdest du das bezeichnen? Als Glück? Als
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