Der Fliegende Holländer
konnten wir zum Beispiel nicht verhungern, was uns eine Menge Geld für Essen einsparte. Wir konnten so viel trinken, wie wir wollten, ohne auch nur im geringsten unsere Gesundheit zu gefährden. Und da wir völlig immun gegen das waren, was man damals noch als die Franzosenkrankheit bezeichnete, nun ja … Jedenfalls hatten wir das Gefühl, uns in jeder Hinsicht glücklich schätzen zu können. Ich bedauerte nur, daß ich noch am Morgen vor unserer Abfahrt von Cádiz fünf Dublonen für den Abschluß einer Lebensversicherung bezahlt hatte, die mittlerweile ganz offensichtlich ohne jeden Nutzen war.«
Als der Fremde an dieser Stelle seine Erzählung wieder einmal unterbrach, musterte der junge Deutsche sein Gesicht. Es war ein schrecklicher Anblick, völlig unbeschreiblich, und der junge Deutsche schaute schnell zur Seite; noch Tage später sollte ihn dieses Gesicht in Gedanken verfolgen. Plötzlich verspürte er das dringende Verlangen, sich über den Werdegang Karls des Großen zu unterhalten, doch bevor er selbst etwas sagen konnte, fuhr der Fremde bereits mit seiner Erzählung fort.
»Allerdings gab es auch Nebenwirkungen«, sagte er. »Soll ich Ihnen etwas über die Nebenwirkungen erzählen? Sagen Sie mir ruhig, wenn Sie etwas dagegen haben. Wenn Sie wollen, können wir uns auch über Gustav Adolf unterhalten.«
»Nein, nein, bloß nicht Gustav Adolf! Erzählen Sie mir lieber von den Nebenwirkungen«, willigte der junge Deutsch rasch ein.
»Nun gut. Wir verbrachten damals insgesamt zwei Wochen in Bristol, wo wir uns immer wieder bis zum Exzeß besoffen. Nachdem wir Ladung an Bord genommen hatten – ich glaube, in erster Linie Wolle, Zinnerz und etwas eingesalzenen Fisch, jedenfalls keine Jute –, stachen wir in See. Wir wären gern noch etwas länger geblieben, aber irgendwie hatten wir uns in Bristol im Laufe der Zeit unbeliebt gemacht und in den meisten Wirtshäusern Hausverbot erteilt bekommen – wozu es in Bristol schon damals einiges bedurfte. Also setzten wir die Segel und machten uns auf den Weg nach Flandern. Ein, zwei Tage kamen wir gut voran, bis sich der Wind wieder mal legte. Diesmal war uns das natürlich ziemlich egal, schließlich hatten wir keinen alchimistischen Spielverderber mehr an Bord, dafür aber genug Bier. Und zu dem Zeitpunkt bemerkten wir es erst.«
»Was haben Sie bemerkt?«
»Den Gestank. Den scheußlichsten, gemeinsten und unangenehmsten Geruch, den man sich zeit seines Lebens vorstellen kann. Noch nie zuvor hatte sich irgend etwas auf der Erde so sehr vom Duft taufrischer Rosen unterschieden wie dieser bestialische Gestank. Und er rührte von uns her.«
Der Fremde trank aus und blickte durch das leere Glas auf etwas, das der junge Deutsche nicht sehen konnte, was letzterer auch für besser hielt.
»Nachdem wir uns einen Tag lang wie verrückt gewaschen hatten – wodurch übrigens alles nur noch schlimmer zu werden schien –, kam einer von uns auf die Idee, die Aufzeichnungen des Alchimisten zu Rate zu ziehen, die Fortunatus bei seiner Verhaftung an Bord zurückgelassen hatte. Die Antwort auf unser Problem fanden wir schließlich in einer Passage, in der unser alter Freund seine Experimente an diesem Kater in Cádiz beschrieb. Er hatte alles in seinen Kräften Stehende getan, um das Geruchsproblem zu beseitigen, indem er hier und da etwas am Rezept verändert hatte, und schien ziemlich zuversichtlich gewesen zu sein, es in den Griff bekommen zu haben. Was auch erklärt, warum er selbst von dem Elixier getrunken hat, nachdem wir ihm als Versuchskaninchen gedient hatten.«
Der junge Deutsche nutzte die kurz entstandene Unterbrechung und sagte: »Was Sie mir da erzählt haben, mein Herr, war wirklich sehr spannend. Ich sollte jetzt aber lieber gehen, weil ich …«
»Es wäre mir wirklich ein Bedürfnis, Ihnen diesen Geruch zu beschreiben. Falls es Ihnen möglich ist, versuchen Sie sich mal einen Misthaufen vorzustellen, auf den jemand die Kadaver von dreihundertdreiunddreißig verwesenden Füchsen geworfen hat. Neben diesem Misthaufen müssen Sie sich einen offenen Abwasserkanal ausmalen; keinen gewöhnlichen, sondern einen Kanal, der die Abwässer eines Ammoniakwerks mit sich führt. Der Misthaufen befindet sich natürlich im Hinterhof eines Hospitals mit Cholerapatienten … Na ja, ist ja auch egal. Aber eins können Sie mir glauben: Es war ein absolut umwerfender Geruch.
Jedenfalls wurde uns schon bald schmerzlich bewußt, daß der einzige Ort, wo wir uns aufhalten
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