Der Fliegende Holländer
Vanderdecker machte seine Mannschaft einen weit weniger gelangweilten Eindruck als sonst.
Der erste Maat wollte gerade aufs Achterdeck klettern, um dem Kapitän eine Frage zu stellen. Vanderdecker konnte Antonius’ Gehirn bereits wie eine Kaffeemühle mahlen hören, noch bevor der erste Maat den Fuß auf die Leiter gesetzt hatte.
»Käpt’n, werden wir dort, wohin wir gerade unterwegs sind, an Land gehen oder nicht?«
»Ja«, entgegnete der Kapitän kurz angebunden. Wie er erwartet hatte, lag das jenseits von Antonius’ Auffassungsgabe, und der erste Maat stand eine ganze Weile nur stumm da, wobei die Kaffeemühle auf Hochtouren lief.
»Wie? Heißt das jetzt ja oder nein?« fragte er schließlich.
»Das heißt, ja, wir werden an Land gehen«, grummelte Vanderdecker.
Antonius dachte über diese Antwort nach. Dann schaute er auf seine Uhr, nur um sich zu vergewissern. »Aber Käpt’n, das geht nicht!« protestierte er. »Die Zeit ist noch nicht reif dafür.«
»Na und?« entgegnete Vanderdecker ungehalten. »Schließlich wollen wir uns dort nicht irgendwelchen Saufgelagen hingeben oder sonstwie auf die Pauke hauen, sondern uns darum kümmern, ob wir diesen Alchimisten finden können.«
»Aber sämtliche Leute werden doch vor uns wegrennen, oder nicht?«
»Kann gut sein«, räumte Vanderdecker ein, »aber immerhin ist es ja wohl einen Versuch wert, oder findest du nicht? Wenn wir weitere fünf Jahre warten, könnte es bereits zu spät sein, weil bis dahin außer uns vielleicht niemand mehr da ist.«
»Ach so!« Antonius fühlte sich erleichtert, daß man ihm eine Erklärung gegeben hatte, selbst wenn er sie nicht verstand. Zu seiner Beruhigung mußte er lediglich wissen, daß es irgendeinen Grund gab und daß jemand die Sache fest im Griff hatte.
Vanderdecker beneidete den ersten Maat, und er fügte hinzu: »Schließlich haben wir absolut nichts zu verlieren, oder?«
»Woher soll ich das wissen?« stellte Antonius wahrheitsgemäß fest. »Deshalb hab ich dich ja gefragt.«
»Glaub mir, wir haben wirklich nichts zu verlieren«, versicherte Vanderdecker dem ersten Maat. »Wenn wir Glück haben, finden wir dort die Antwort auf unser Problem. Wenn nicht, ändert sich dadurch auch nichts, alles klar?«
Der erste Maat nickte und trottete davon. Die Kaffeemaschine lief noch immer stoßweise, würde aber bald wieder zum Stillstand kommen. Vanderdecker hingegen hegte erste Zweifel. Was wäre, wenn der Gestank alle Leute vertriebe, sobald er sich mit seinen Gefährten dem Gelände bis auf Geruchsdistanz genähert hätte? Und vermutlich wäre es gar nicht so leicht, an Montalban heranzukommen, selbst wenn er sich dort aufhielt. Vanderdecker wußte, daß sämtliche Regierungen, die etwas auf sich halten, überhaupt nicht begeistert sind, wenn ihre Bürger in der Nähe von Atomkraftwerken Spazierengehen oder sich ihnen gar auf bedrohliche Art und Weise nähern. Nun hatte die Verdomde etwas an sich, das auf viele Menschen äußerst bedrohlich wirkte, und obwohl die Mannschaft unverwundbar war, konnte man dem Schiff durchaus etwas anhaben. Vanderdecker empfand für die Verdomde zwar keinerlei sentimentale Regungen – ganz im Gegenteil, denn er haßte mittlerweile jedes Spant des klinkergebauten Gerippes –, aber falls das Schiff von irgendeinem übereifrigen Patrouillenboot aus dem Wasser gesprengt würde, könnten sie ernsthafte Probleme bekommen, ein neues zu finden; zumindest eins, das so einfach gebaut war, das es mit Wind- und nicht mit Motorkraft angetrieben wurde. Wenn man sich die ganze Zeit mitten auf dem Ozean aufhält und entsetzlich stinkt, ist es gar nicht so einfach, an Dieseltreibstoff heranzukommen.
Vanderdecker sorgte sich über diese und andere Unwägbarkeiten (sozusagen) noch immer zu Tode, als der Mann im Ausguck Duncansby Head erblickte. Das war Vanderdeckers Stichwort, die Karten und den Sextanten hervorzuholen, da in diesen Gewässern neben Patrouillenbooten noch andere Gefahren drohten; zum Beispiel gab es bei der Navigation Felsen und Sandbänke, launische und bösartige Gezeiten sowie verschiedene andere Risiken zu berücksichtigen. Es war erfrischend, endlich einmal wieder richtig zu segeln, und Vanderdeckers Gedanken waren viel zusehr auf die bevorstehende Landung gerichtet, als daß sie sich um die Probleme, die es nach einer erfolgreichen Ankunft zu erledigen gab, hätten drehen können.
»Wenn ich mich richtig erinnere«, sagte der Kapitän zum ersten Maat, »gibt es hier irgendwo
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