Der Fliegende Holländer
ein kleine Bucht, in der wir uns verstecken können.«
Es wurde langsam dunkel, und Vanderdecker fürchtete die Sandbänke. Bei ihrer Suche nach Dounreay machten sie nur langsame Fortschritte, da wegen der Notwendigkeit, außer Sichtweite zu bleiben, ein langsames Herantasten unausweichlich war. Nun kann ein guter Skipper den Kurs so festlegen, daß das Schiff vom Festland aus nicht zu sehen ist, oder sich so dicht an der Küste halten, daß es von der offenen See aus praktisch unsichtbar ist. Er kann aber nicht beides gleichzeitig. Wie sich herausstellte, wurde die Verdomde gleich von mehreren Seeleuten und etlichen Festlandbewohnern gesehen, aber niemand schenkte dem Schiff besondere Beachtung. Wie selbstverständlich nahmen alle an, daß da irgendein Werbespot für Fischstäbchen gedreht wurde, und nach einem kurzen Blick widmete man sich gleich darauf wieder seinen alltäglichen Pflichten.
Kurz bevor es zu dunkel wurde, um überhaupt noch etwas zu sehen, entdeckte Vanderdecker die Bucht. Der Anker wurde geworfen und durchschlug schwerfällig platschend die Wasseroberfläche. Die Mannschaft begab sich schon in die Kojen, aber Vanderdecker war zu unruhig, um sich bereits schlafen zu legen. Irgendwo da draußen fände er vielleicht die Antwort auf sein Problem, und obwohl ihm sein gesunder Menschenverstand sagte, daß ein Kernkraftwerk nur schwer zu übersehen und entsprechend leicht zu finden sein dürfte, verspürte er das dringende Bedürfnis, vom Schiff zu gehen und sich einen ersten Überblick zu verschaffen. Er hielt den befeuchteten Zeigefinger in die Luft, um sich zu vergewissern, daß der Wind noch immer seewärts blies, ließ das Beiboot zu Wasser und ruderte an die Küste.
Nach einer kurzen Klettertour erklomm er die Spitze eines niedrigen Felsens und spazierte auf der anderen Seite einen flachen Abhang hinunter. Als er ein Gebäude mit erleuchteten Fenstern entdeckte, drehte sich zu seinem Entsetzen der Wind. Das war überhaupt nicht gut, und er marschierte forsch in die andere Richtung weiter.
Wie es passierte, sollte Vanderdecker ein ewiges Rätsel bleiben: Kaum hatte er die asphaltierte Straße erreicht, kam im nächsten Augenblick hinter einer scharfen Kurve ein Auto hervorgeschossen, bremste nicht und prallte mit ihm zusammen. Er flog über die Haube, schlug auf dem Dach auf und rutschte über den Kofferraum auf die Straße. Das Auto kam mit kreischenden Bremsen zum Stehen (Und warum, zum Teufel, konntest du das nicht gleich tun? fluchte der Fliegende Holländer in sich hinein), die Tür flog auf, und der Fahrer kam auf ihn zugelaufen. Vanderdecker seufzte; wer immer dieser Verkehrsrowdy war, bei seinem nächsten Atemzug würde dem Kerl der Schock seines Lebens widerfahren, was ihm allerdings ganz recht geschah.
Es handelte sich aber um keinen Er, sondern um eine Sie. Und als eine typische Sie beugte sie sich ängstlich über ihn, blickte ihn äußerst besorgt an und stammelte: »Mein Gott! Haben Sie sich etwa verletzt?«
Vanderdecker starrte die junge Frau ungläubig an. Selbst er konnte den Gestank riechen, obwohl er ihn allenfalls nur noch dann bemerkte, wenn er besonders penetrant war – aus irgendeinem Grund wurde der Geruch durch Kontakt mit festem Boden noch durchdringender und abstoßender als sonst. Aber dieses Mädchen schien noch nichts davon bemerkt zu haben oder einfach nur übertrieben höflich zu sein.
»Mir geht’s gut«, antwortete Vanderdecker, und um dies zu beweisen, stand er auf. Er trug seine bequeme alte Kleidung, die in der Tat sehr alt und sehr bequem war. Das Mädchen schien einige Schwierigkeiten zu haben, sich mit Vanderdeckers Unverwundbarkeit abzufinden. Sobald sie sehen würde, daß er Seemannskleidung aus dem sechzehnten Jahrhundert trug, würde sie wahrscheinlich einen hysterischen Anfall bekommen.
Glücklicherweise war es so dunkel, daß sie nur noch seine Umrisse erkennen konnte. Vanderdecker klopfte sich den Dreck ab und wich ein Stück zurück; aber er wollte unbedingt wissen, ob oder warum dieses Mädchen den Geruch nicht wahrnahm.
»Haben Sie sich wirklich nicht verletzt?« erkundigte sich das Mädchen ein zweites Mal.
»Ganz bestimmt nicht«, entgegnete Vanderdecker. »Tut mir leid, wenn ich Ihnen einen Schreck eingejagt habe. Das Ganze war meine eigene Dummheit.«
»Kann ich Sie irgendwohin mitnehmen?« fragte das Mädchen besorgt. Vanderdecker fiel ein, daß es in Autos so komische kleine Lampen gibt, die von selbst angehen, wenn man die Tür
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