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Der Fliegende Holländer

Der Fliegende Holländer

Titel: Der Fliegende Holländer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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Price von einem netten kleinen Job als Reinmachefrau irgendwo in einer Fabrik geträumt, in der Hühner gerupft werden. Aber sie war immer noch hier und leitete nach wie vor das Touristeninformationsbüro in Bridport.
    Jedes Jahr, wenn die Wolken heranrücken und Aiolos den rindsledernen Schlauch öffnet, in dem die vier Winde eingeschlossen sind, latschen aus der West Bay etwa einhunderttausend erbärmlich aussehende Urlauber mit an den Handgelenken baumelnden Kindern ins Büro und verlangen die Information, was man bei nassem Wetter in Bridport anfangen kann. Auf diese Frage gibt es nur eine einzige Antwort, und die ist leider selten zufriedenstellend. Wo nichts ist, kann auch nichts sein. »Tut mir leid, meine Damen und Herren, aber das ist alles, was es dazu zu sagen gibt. In dieser Stadt kann man in der Regenzeit absolut nichts unternehmen, außer sich die Haare wachsen zu lassen.«
    So direkt sagt man das natürlich nicht. Man schlägt den Touristen vor, ins Bridporter Museum zu gehen, die Ausstellung landwirtschaftlicher Nutzfahrzeuge zu besuchen oder die immer noch in Betrieb stehende Wassermühle zu besichtigen. Man zeichnet ihnen kleine Pläne auf die Rückseite von Briefumschlägen, damit sie auch wissen, wie sie dort hinkommen. So stehen die Touristen da, tropfnaß, starren einen an, als ob man vor ihnen das Geheimnis von der Lage der Minen König Salomons verberge, lassen sich schließlich ein paar ›Herrliches Dorset‹-Prospekte andrehen und spazieren hinaus. Auf dem abendlichen Nachhauseweg sammelt man dann die ›Herrliches Dorset‹-Prospekte aus dem Abfalleimer an der nächsten Ecke und denkt über die Nichtigkeit menschlicher Sehnsüchte nach.
    Einige Touristen wollen jedoch nicht eher weggehen, bis man mit etwas herausrückt, das zumindest erträglich klingt, und diese armen Trottel erhalten gewöhnlich den Rat, sich Jeanes’ Bootswerft anzusehen. Damit erst gar kein Optimismus aufkommt: Jeanes’ Bootswerft – das ganze Jahr über montags bis freitags von 10.00 bis 15.00 Uhr geöffnet – hat nur wenige Konkurrenten. Auch Marion war einmal zu Forschungszwecken dort gewesen; einmal und nie wieder. Es gibt einen abgedroschenen Spruch, daß dieses oder jenes ungefähr so interessant sei, wie Lack beim Trocknen zuzusehen; und die Lackiererei ist auf jeden Fall der Höhepunkt bei einem Besuch von Jeanes’ Bootswerft.
    Wir befinden uns jetzt im Touristeninformationsbüro bei Marion Price, die ein Gespräch mit einem Paar hoffnungsloser, unverbesserlicher, eingefleischter Optimisten und seinem sieben Jahre alten Sprößling führt.
    »Bootswerft?« fragt der männliche Optimist gerade.
    »Die älteste noch bestehende Bootswerft in ganz Dorset«, antwortet die in Marion Price’ Kehlkopf eingebaute Tonbandaufnahme automatisch. »Dort werden die Boote noch heute so gebaut wie seit fünfhundert Jahren. Alte Schiffe werden vom Schiffbaumeister Walter Jeanes und seinen beiden Söhnen Wayne und Jason liebevoll am Leben erhalten. Nirgendwo sonst in Dorset kann man die Pracht und den Glanz des uralten maritimen Erbes Großbritanniens vor den eigenen Augen vollendeter wiedererstehen lassen. Darüber hinaus bietet Ihnen Jeanes’ Bootswerft eine große Auswahl an Erfrischungen und Souvenirs an.« Na dann viel Glück, ihr Hornochsen. Warum fahrt ihr nicht einfach wieder nach Redditch zurück und tapeziert das Gästezimmer neu?
    Ein langes Schweigen tritt ein. Jean-Paul Sartre hätte es genossen. »Wie kommen wir denn dahin?« fragt der weibliche Teil des Optimistenpaares.
    »Ich zeichne es Ihnen gern auf.« Schon skizzieren flinke und geschickte Kartographinnenfinger, die seit langem auch den letzten Funken Schuldgefühl sublimiert haben, einen Plan des direktesten Wegs. Die Optimisten machen sich auf. Es regnet. Die Zeit vergeht.
    Jane Doland, die eine ordentliche Erziehung genossen hatte, trat sich die Schuhe ab, bevor sie in das Touristeninformationsbüro ging. Es war ihre letzte Hoffnung. Sie hatte es bereits mit dem Telefonbuch, dem Postamt und der Hotelrezeption versucht. Wenn man ihr auch hier keine Auskunft geben konnte, würde sie aufgeben und in ihr Hotelzimmer zurückkehren.
    »Entschuldigen Sie, können Sie mir wohl sagen, wo Jeanes’ Bootswerft ist?« fragte sie.
    »Sicher.« Die Frau hinter dem Schalter lächelte sie an. Gott sei Dank! dachte Jane. Es war einfach wunderbar, in diesem tristen Nest tatsächlich jemanden zu finden, der hilfsbereit war.
    »Soll ich Ihnen einen Plan zeichnen?«

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