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Der Fliegende Holländer

Der Fliegende Holländer

Titel: Der Fliegende Holländer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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schweigen, doch war er nicht in der Stimmung für ein unfreiwilliges Bad, falls ein irregeleiteter Blitz direkt durch die Sohlen von Sebastians unverwundbaren Füßen schlagen und die Verdomde zu Kleinholz zerlegen würde.
    »Holt sämtliche Segel ein!« brüllte Vanderdecker, aber wie üblich hörte niemand zu. Ich glaube, genau das ist es, was an diesem verdammten Schiff so faul ist, grübelte der Kapitän laut nach, als eine Welle über die Bordwand schlug und ihm sämtliche Haare auszureißen versuchte. »Diese völlige Teilnahmslosigkeit. Niemanden kümmert’s, wenn die Segel so zerfetzt werden, daß allenfalls noch ein paar Staublappen übrigbleiben. Ist doch egal, Käpt’n, wir haben doch sowieso kein Fahrtziel. Aber dieses eine Mal haben die Jungs eins! Sie sind nämlich gerade auf dem Weg nach Genf zu einem Treffen mit Professor Montalban, und zwar mit fünf Fässern radioaktivem Deodorant, die sicher im Laderaum verstaut sind. Und ausgerechnet das eine Mal, da ich einen Zielhafen habe, muß ich in den schlimmsten Sturm seit fünfzig Jahren geraten. Toll. Einfach toll!«
    In diesem Moment gab es ein furchtbar berstendes Geräusch; schwer mißhandeltes Holz gab nach. Die Nock des Großsegels war unter der Wucht einer abnorm heftigen Bö gebrochen und durch das Eigengewicht wie an einem Scharnier aus gesplittertem Holz abgeknickt. Dann krachte sie von oben mit gewaltiger Wucht auf Sebastian van Doornings Hinterkopf und schmetterte ihn wie eine zerquetschte Schnake aufs Deck. Urinstinkte lassen sich nur schwer ablegen: Bevor er wußte, was er tat, sprang Vanderdecker aus seinem Versteck hervor, beugte sich über den zu Boden gestürzten Mannschaftskameraden und schützte dessen malträtierten Körper vor der Gewalt des Sturms.
    »Bist du das, Skipper?«
    »Es ist alles okay, mein Freund«, tröstete Vanderdecker ihn, als sich Sebastians große Augen langsam öffneten. »Du kommst bestimmt wieder in Ordnung.«
    »Meinst du?«
    »Ja«, versprach Vanderdecker.
    »Ach, leck mich doch am Arsch!« rief Sebastian. Er stand abrupt auf und schlurfte durch den peitschenden Regen davon, wobei er etwas vor sich hin murmelte wie, warum ausgerechnet er immer alles abbekommen müsse. Vanderdecker schüttelte den Kopf und verkroch sich wieder hinter dem schützenden Bierfaß.
    Als der Sturm schließlich vorbei war, hatte er nicht die leiseste Ahnung, wo sie sich befanden. Wie durch ein Wunder – oder die bloße Macht der Gewohnheit – war das Schiff einigermaßen heil geblieben, hatte allerdings auch einige Schäden davongetragen. Die Segel hingen in Fetzen, der Hauptmast war nicht mehr zu gebrauchen, und die gesamte Schiffskonstruktion war derart in Mitleidenschaft gezogen worden, daß man an der Verdomde ganz offensichtlich umfassende Reparaturarbeiten vornehmen lassen mußte, um sie überhaupt über Wasser zu halten. Das mußte natürlich ausgerechnet mir mal wieder passieren! fluchte Vanderdecker im stillen. Immer wieder dieses verdammte Pech!
    Ironischerweise blies jetzt überhaupt kein Wind mehr. Das Schiff schwamm für den Rest des Tages auf dem Wasser wie eine Gummiente in der Badewanne, und als die Dunkelheit hereinbrach, strahlten die Sterne hell und klar in einem wolkenlosen Himmel. Mit ihrer Hilfe konnte Vanderdecker wenigstens einigermaßen die derzeitige Position der Verdomde berechnen und sah sich dann vor eine qualvolle Entscheidung gestellt.
    Der Schadensbericht des Ersten Maats zwang ihn zu dem Eingeständnis, daß eine Änderung des Plans nunmehr leider unvermeidlich war; wenn man das Schiff nicht in Windeseile wieder zusammenflicken würde, könnte es nämlich nirgendwo mehr hinfahren, allenfalls noch in eine Richtung, und zwar direkt nach unten. Aber es gab nur einen einzigen Ort auf der ganzen Welt, wo man das Schiff reparieren lassen konnte, und es bot sich keine Alternative an. Schade, daß dieser Ort solch ein Kaff ist, aber was soll’s?
    Vanderdecker rief die Besatzung auf Deck zusammen und berichtete von seinem Vorhaben: »Wir fahren nicht mehr nach Genf, sondern nach Bridport.« Als der ihm nur allzu vertraute Chor stöhnender, klagender, vorwurfsvoller und anderer ›Es-geht-mal-wieder-nach-Bridport‹-Geräusche bis zum Crescendo angeschwollen war, entfernte sich Vanderdecker und öffnete die letzte Dose Stella Artois. Das brauchte er jetzt.
     
    Die Sehnsüchte der Menschen müssen größer sein als ihr geistiger Horizont, oder wozu gibt es sonst einen Himmel? Zwanzig Jahre lang hatte Marion

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