Der Fliegende Holländer
fragte die Frau freundlich.
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht«, entgegnete Jane. »Ich vergesse nämlich grundsätzlich sämtliche Wegbeschreibungen. Zum einen Ohr rein, zum anderen wieder raus. Ist es denn weit?«
»Nein«, antwortete die Frau hinter dem Schalter, die – anscheinend ohne aufs Papier zu blicken – eifrig zeichnete, wie eine dieser Maschinen in Krankenhäusern, die Diagramme von den Herzschlägen der Patienten anfertigen. »Sind Sie schon mal vorher in Bridport gewesen?« fragte sie.
»Ja, aber erst einmal.«
»Eine reizende, kleine Stadt, finden Sie nicht?« fragte die Frau hinterm Schalter. »Einige Leute kommen immer wieder hierher.«
Das ist wohl wahr, dachte Jane, du hast ja gar keine Ahnung, wie wahr das ist. »Diese Bootswerft«, fragte sie, »ist die sehr … ehm … alt?«
»Das kann man wohl sagen«, entgegnete die Frau lächelnd. »Dort werden die Boote noch heute so gebaut wie seit fünfhundert Jahren.«
»So alt schon?« staunte Jane. »Das ist ’ne ganz schöne Leistung, wie? Also, haben Sie vielen Dank.« Sie blickte auf die Kartenskizze. »Wo ist Norden?« erkundigte sie sich. Die Frau zeigte in Richtung Norden und lächelte Jane dabei erneut gutgelaunt an. Die Arbeit schien ihr offenbar sehr viel Spaß zu machen. In diesem Moment beneidete Jane sie darum.
Während sie durch die Pfützen auf der South Street watete, ging Jane im Geist noch einmal die Ereignisse der letzten Wochen durch, die mit dem Börsenkrach begonnen hatten. Als sie den Bericht über den Sabotageversuch in Dounreay und die dort an die Mauer gesprühte Parole gesehen hatte, war sie so schnell wie möglich in den Norden Schottlands aufgebrochen. Es war kein Problem gewesen, mit den Demonstranten, die die Parole an die Wand gesprüht hatten, in Kontakt zu treten. Jane hatte zuvor das Büro von Moss Berwick in Inverness informiert, und von dort aus arrangierte man ein Treffen, indem man die Beziehungen zu den Anwälten spielen ließ, die die Demonstranten verteidigten. Allerdings verlief das Gespräch nicht einfach. Keiner der Deutschen sprach britisches Schuldeutsch, sondern nur richtiges Deutsch (was zwei gänzlich verschiedene Sprachen sind). Außerdem waren sie alle baß erstaunt, warum sie mit einer Buchhalterin sprechen sollten, während sie doch mit einer Anklage wegen vorsätzlicher Beschädigung von fremdem Eigentum rechneten. Dennoch nahm die Geschichte in dem Befragungsraum für Anwälte nach und nach Gestalt an. Als allerdings alles gesagt und getan war, wußte Jane auch nicht viel mehr als vorher. Sicher war nur, daß sich der Fliegende Holländer an einem Ort wahrscheinlich nicht aufhielt, und das war der Norden Schottlands, da er diesen erst vor kurzem verlassen hatte.
Jane kam gleichzeitig mit einem Ü-Wagen des Fernsehens in der West Bay an, und bei diesem Anblick blieb ihr fast das Herz stehen. Einen furchtbaren Moment lang dachte sie, der Ü-Wagen sei aus demselben Grund da wie sie; aber bislang hatte man die Verbindung zwischen den nur relativ kurzen Zeitungsmeldungen über die Vorgänge in Dounreay und den dramatischen Turbulenzen an den internationalen Devisenmärkten noch nicht herausgefunden. Oder sollte etwa ein Enthüllungsjournalist mit dem Riecher eines Frettchens auf die Sache mit der Vanderdecker-Police gestoßen sein? Aber als Jane wieder einfiel, daß sie etwas im Autoradio über irgendeine idiotische Segelregatta gehört hatte, die am nächsten Tag vor der West Bay stattfinden sollte war der kurze Anflug von Panik schnell wieder vorbei, und sie strich die ganze Angelegenheit aus dem Gedächtnis.
Ihr Vorhaben war, das mußte sie sich jetzt selbst eingestehen, als sie vor der Bootswerft parkte, ein gewagter Versuch, eine dunkle Ahnung oder – falls Sie diese direkte Ausdrucksweise vorziehen – eine saublöde Idee.
Angefangen hatte das Ganze auf dem Rückflug von Inverness, in dessen Verlauf Jane nach guten Gründen gesucht hatte, warum sie Montalbans Spur nicht weiterverfolgen sollte. Es war ihr damals gar nicht so leichtgefallen, welche zu finden. Der nächste logische Schritt wäre eigentlich gewesen, nach Genf zu fahren, diesen Montalban ausfindig zu machen und sich einen Vorwand für ein Gespräch mit ihm auszudenken, um herauszufinden, was er wußte. Doch aus bestimmten Gründen, die sie selbst am besten kannte – wahrscheinlich natürliche Zurückhaltung, verstärkt durch eine nicht unerhebliche Portion Ängstlichkeit und Trägheit –, wollte sie die Fahrt nach Genf
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