Der Fliegende Holländer
sie fand bei der Mannschaft dann auch die ihr gebührende Aufnahme, was Vanderdecker nicht im mindesten überraschte.
»Ihr werdet bemerkt haben«, fuhr er fort, »daß die Bucht voller Boote ist. Vielleicht habt ihr dabei aber übersehen, daß es sich zum Großteil um Segel- und nicht um Motorboote handelt. Ich glaube, wir haben das Glück gehabt, mitten in eine Art Jachtrennen oder Regatta oder so was Ähnliches geraten zu sein. Wenn wir uns also ganz natürlich verhalten und uns um unsre eigenen Angelegenheiten kümmern, beachtet uns vielleicht überhaupt niemand. Inzwischen ist es von größter Wichtigkeit, das Schiff in der nächsten halben Stunde rüber zu Jeanes’ Bootswerft zu bringen. Sollten wir das nämlich nicht schaffen, gehen wir bald alle baden. Habt ihr das kapiert?«
Das war natürlich eine rhetorische Frage. Mit einer äußerst feinen Mischung aus Teilnahmslosigkeit und Verachtung schlurften die Besatzungsmitglieder der Verdomde wieder auf ihre Posten und setzten ihre Arbeit fort. Sie würden es schon schaffen, wenn auch nur mit Mühe und Not.
»Käpt’n!« Vanderdecker drehte sich um und erblickte den Ersten Maat, der ein besorgtes Gesicht machte.
»Nicht jetzt, Antonius!« flehte Vanderdecker.
»Aber Käpt’n …«
»Bitte, Antonius«, sagte Vanderdecker so sanft, wie er konnte, »ich weiß, daß du es gut meinst, aber gerade jetzt …«
»Käpt’n«, beharrte Antonius, »dahinten kommt ein Boot.«
Vanderdecker starrte ihn entsetzt an. »Was?«
»Ich hab gesagt, da kommt ein Boot …«
»Wo?«
Antonius deutete stolz auf das Boot, das ungefähr noch dreißig Meter entfernt war, aber schnell näher kam. »Da«, sagte er, als mache er auf einen neuen Stern im Krebsnebel aufmerksam. »Ich hab’s gerade erst gesehen.«
»Mist!« zischte Vanderdecker. »Warum ausgerechnet jetzt? Wir haben keine Zeit.«
»Ach, wir haben keine Zeit?« erkundigte sich Antonius neugierig. Vanderdecker hatte fast vergessen, daß der Erste Maat noch da war. »Zeit wofür?«
»Das hat uns gerade noch gefehlt«, sagte Vanderdecker in erster Linie zu sich selbst. »Wir müssen die irgendwie loswerden, und zwar schleunigst.«
Antonius strahlte. »Überlaß das mir, Skipper«, beruhigte er seinen Kapitän, und bevor der befehlshabende Offizier ihn zurückhalten konnte, war der Erste Maat schon den Niedergang hinuntergerannt. Er befand sich auf dem Weg zum Kanonendeck, auf dem die völlig authentischen Geschütze aus dem sechzehnten Jahrhundert – sogenannte Feldschlangen – aufgestellt waren. Vanderdecker rief ihm nach, aber der Erste Maat schien ihn nicht zu hören. Auf diese Idee war Antonius ganz allein gekommen, und es war seine große Chance.
»Feuer!« schrie er durch die Luke nach unten.
»Was ist?«
»Du sollst feuern!« wiederholte er ungeduldig. »Und keine Widerworte!«
»Wie du willst«, entgegnete die Stimme, und einen Augenblick später ertönte das einzigartige Donnern einer völlig authentischen, aber hoffnungslos verrosteten Feldschlange aus dem sechzehnten Jahrhundert, die sich gerade selbst schrottreif geschossen hatte, gefolgt von den Flüchen des enttäuschten Sebastian van Doorning.
Die Teilnehmer des Bridport Old Ships Race gingen über die Startlinie. Das Motorboot, in dem sich Danny Bennett, der Vertreter einer führenden Brauerei, ein Kameramann, der Bootseigner, Kameraausrüstung im Wert von dreißigtausend Pfund sowie die Kanonenkugel einer völlig authentischen Feldschlange aus dem sechzehnten Jahrhundert befanden, sank. Als das Wasser über Dannys Kopf zusammenschlug, fiel ihm plötzlich ein, daß er etwas vergessen hatte – nämlich schwimmen zu lernen.
»Sie müssen etwas unternehmen«, sagte der Mann von der Brauerei. »Glauben Sie mir, die haben ’ne Kanonenkugel auf uns abgefeuert! Die haben versucht, uns umzubringen!«
Auf dem Gesicht des Manns von der Küstenwache erschien ein ›Ehm-ja-schon-möglich‹-Lächeln. »Was genau ist denn passiert?« fragte er.
Der Brauereiangestellte zitterte und zog die Decke enger um die Schultern. »Ich bin zusammen mit dem Produzenten auf einer Barkasse rausgefahren. Er wollte von dem Schiff eine Nahaufnahme machen, und ich wollte den Meldeschein sehen. Die standen nämlich gar nicht auf der Startliste. Wir kommen also längsseits, und – peng! – die haben einfach auf uns geschossen.«
»Mhm, die haben also einfach auf Sie geschossen«, wiederholte der Mann von der Küstenwache nachdenklich. »Mit einer Kanone.«
»Mit
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