Der Fliegende Holländer
erreichen will. Er war lediglich ein kompetenter und überzeugter Anhänger korrekter wissenschaftlicher Verfahrensweisen. Aber da er eine Menge Zeit hatte, spielte auch das keine Rolle. Er konnte alles durch negative Auslese erreichen. Das mag sich planlos anhören, aber der wahre Wert jeder wissenschaftlichen Methode bemißt sich an ihren Ergebnissen, und so gesehen waren Montalbans Ergebnisse erstaunlich spektakulär. Jede größere wissenschaftliche Entdeckung oder Erfindung – von der Schwerkraft bis zur elektrischen Zahnbürste – basierte auf Professor Montalbans Arbeit. Jeden Durchbruch, jeden Quantensprung, jeden neuen Ansatz hatte er entweder initiiert oder in den meisten Fällen bis kurz vor der Veröffentlichung selbst ausgearbeitet. Jedesmal war im letzten Augenblick jemand anders aufgetaucht und hatte die ganze Anerkennung eingeheimst, aber genau das wollte der Professor, denn er hatte seine ganz speziellen Gründe, nicht aufzufallen.
Mal angenommen, ein neolithischer Höhlenbewohner will in seiner Höhle einige Regele aufstellen. Alles, was er zur Verfügung hat, ist ein Baum. Also muß er die Metallveredelung erfinden, die Säge, den Hobel, den Stechbeitel, den Bohrer, den Schraubenzieher, die Schraube, den Dübel, das Schmirgelpapier, die Polyurethanlasur, die Wasserwaage und schließlich noch das Resopalfurnier im Marmorlook, und dann kann er sich an die Arbeit machen. An all dem ist nichts, was den Intellekt übermäßig strapazieren würde, aber man braucht eine Menge Zeit dazu.
Professor Montalban hatte es nicht darauf angelegt, die Elektrizität zu entdecken, die Kernspaltung oder den Blutkreislauf, so wie der Höhlenmensch keinen großen Drang verspürt, Pionierarbeit für das Taschenmesser zu leisten – das waren nur lästige und notwendige Stationen auf der Suche nach dem letztendlich vorrangigen Ziel, genauso wie die moderne Mathematik strenggenommen nur ein Nebenprodukt von Richard Löwenherz’ Verlangen nach der Wiedereroberung Jerusalems ist. Für Professor Montalban war das Ziel unendlich viel wichtiger als die kleinen Abstecher auf dem Weg dorthin – wie zum Beispiel die Kernspaltung –, denn eigentlich war er auf der Suche nach dem endgültigen Deodorant.
Das war allerdings nicht immer sein Ziel gewesen. In seiner Jugend hatten ihn das Geheimnis des ewigen Lebens und die Transmigration der Elemente mehr interessiert, wodurch er in erster Linie in diesen Schlamassel geraten war. Heute schätzte er seine damaligen Ambitionen in etwa so ein wie der Vorstandsvorsitzende eines großen multinationalen Konzerns seinen Kindheitstraum, Lokomotivführer zu werden. Wenn er eine Lebensphilosophie hatte, dann die, daß alles Zufall ist und 99,5 Prozent der Menschheit seit eh und je nichts als eine elende Plage darstellen.
Wie er es schon alle die Jahre über getan hatte, arbeitete er stets so lange weiter, bis seine Kopfschmerzen derart unerträglich wurden, daß er sich nicht mehr länger konzentrieren konnte; und zu diesem Zeitpunkt hatte der Optiker natürlich bereits Ladenschluß und war nach Hause gegangen. Also zog der Professor seine Jacke an und unternahm einen Spaziergang auf dem Institutsgelände, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Der Abend war kühl, und hätte er sich in Gedanken nicht so sehr mit einem Irrtum beschäftigt, auf den er in der Brownschen Molekularbewegung gestoßen war, hätte er den Sonnenuntergang vermutlich genossen. Wie üblich spazierte Montalban geistesabwesend in die College-Cafeteria und setzte sich an einen der mit unzähligen Brandflecken übersäten Tische vor den Fernsehapparat. Er nahm keine Notiz von dem, was auf dem Bildschirm zu sehen war – irgendeine Sportsendung –, und ließ seine Gedanken zurück zum Zusammenspiel der ziellos umherirrenden Partikel wandern. Dann nahm er eine Stimme wahr, die im entferntesten Winkel seines Hirns laut etwas brüllte.
»Sehen Sie sich das mal an!« rief diese Stimme, und Professor Montalban sah es sich an: Am unteren Bildschirmrand erkannte er zwar nur undeutlich, aber unverkennbar etwas, das er wiedererkannte. Es war ein Schiff.
»Und weiter?« fragte Jane.
»Nichts weiter. Das war so ungefähr alles«, sagte Vanderdecker. »Wirklich. Ich hatte zwar noch andere Erlebnisse, aber keins davon ist für das fragliche Problem von Belang. Dabei fällt mir ein …«
»Ja?«
Vanderdecker lächelte und hob das Glas an den Mund. »Was ist überhaupt das fragliche Problem? Warum haben Sie nach mir
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