Der Fliegende Holländer
ergreifen. Möglicherweise würde das Schiff auffallen, wenn es in See stach, aber noch wesentlich mehr, wenn es dablieb. In Puerto Rico war sogar einmal von besorgten Anwohnern die Feuerwehr gerufen worden und hatte ihre Schläuche auf ihn gerichtet. Derlei Erfahrungen hinterlassen in der Psyche eines Menschen ihre Spuren.
In späteren Jahren sollte sich Jane noch häufig fragen, warum sie damals überhaupt auf dem Schiff geblieben war. Gelegentlich versuchte sie, sich dabei einzureden, sie hätte die Hoffnung, das Ziel ihrer Mission doch noch zu erreichen, noch nicht ganz aufgegeben gehabt, aber das war reiner Selbstbetrug. Soweit es überhaupt eine vernünftige Erklärung gab, konnte sie nur lauten, daß Jane sich einfach nicht mit dem Gedanken abfinden wollte, daß das Abenteuer für sie zu Ende sei. Zu ihrer Verteidigung konnte sie vorbringen, daß sie für ihre Entscheidung nur eine fünfhundertstel Sekunde Zeit gehabt hatte und daß selbst die gescheitesten Köpfe hin und wieder dazu gezwungen sind, Entscheidungen von großer Tragweite in der Belichtungszeit eines Fotoapparats zu treffen.
Jedenfalls hatte sie Vanderdeckers beiläufig erwähntem Vorschlag zugestimmt und war mit an Bord gegangen und dort auch geblieben. Ob das Angebot des Fliegenden Holländers nun ernst gemeint war oder nicht, konnte sie nicht mehr feststellen, da der Kapitän mittlerweile zu sehr damit beschäftigt war, der Mannschaft Befehle zu erteilen.
Danny erblickte das Schiff ungefähr eine Sekunde, bevor er den Geruch wahrnahm, aber man darf nicht vergessen, daß er eine Erkältung hatte. Alle anderen nahmen zuerst den Geruch und dann erst die Verdomde wahr. Vorsorglich machten sie Danny auf den bestialischen Gestank aufmerksam, falls er ihn noch nicht selbst bemerkt haben sollte. Sie gaben zu bedenken, daß der Geruch extrem unangenehm sei und sie es für ratsam hielten kehrtzumachen. Sie führten dies noch weiter aus, bis sie drohten, Danny über Bord zu werfen. Schließlich beachteten sie ihn nicht mehr. Er kreischte sie eine Weile an, doch schon bald war der ohrenbetäubende Lärm des aufheulenden Schiffsmotors so laut, daß von Danny nichts mehr zu hören war.
»Sehen Sie nur! Das Boot da!« rief Jane.
»Welches Boot?« fragte Vanderdecker. »Nicht jetzt, Sebastian! Nimm das Ding ab.«
Sebastian van Doorning löste die Kette samt Anker von seinem Bein und begab sich murmelnd wieder auf seinen Posten.
»Sie sagten eben was von einem Boot«, wandte sich Vanderdecker an Jane.
Der Fliegende Holländer trug erneut diesen sorgenvollen Gesichtsausdruck zur Schau, der mittlerweile noch besser zu ihm paßte, als ein dreiteiliger Savile-Row-Anzug mit Jermyn-Street-Socken zu dem paßt, der ihn trägt. Er stand ihm irgendwie gut.
»Ich hab eben gedacht, ich würde den Mann kennen«, sagte Jane.
»Welchen Mann?«
»Den Mann auf dem Boot.«
»Welches Boot?«
»Ach, ist doch egal«, winkte Jane ab. »Und wohin fahren wir jetzt?«
»Wir nehmen die Langzeitreiseroute«, erklärte Vanderdecker. »Wir können uns später darüber unterhalten. Würde Ihnen im Moment die Aussage genügen: ›Wir begeben uns auf die offene See‹?«
»Nein.«
»Schade«, murmelte Vanderdecker. »Sehen Sie, es kommt darauf an, daß wir uns so weit wie möglich von den üblichen Seewegen zu entfernen, bevor uns jemand sieht. Wegen der vielen Schiffe ist das im Kanal von England gar nicht so einfach. Deshalb neigen wir dazu, den gedanklichen Teil auf unbestimmte Zeit aufzuschieben und uns den praktischen Aufgaben zu widmen.«
»Okay.«
Vanderdecker schaltete bedächtig seine Gedankengänge um einen Gang herunter und dachte nach. »Was machen Sie hier eigentlich?« fragte er schließlich.
»Nun … ehm … ich …«, stammelte Jane begreiflicherweise.
»Verstehen Sie mich nicht falsch. Sie sind durchaus willkommen an Bord. Es ist nur so, daß wir nicht planen, vor Mitte der neunziger Jahre wieder an Land zu gehen. Wenn Sie in der ersten Hälfte des Jahrzehnts noch etwas Dringendes zu erledigen haben, sollten Sie das lieber gleich sagen.«
So hatte Jane das noch gar nicht gesehen. »Sie meinen, Sie wollen einfach irgendwie so weitermachen?«
Vanderdecker nickte. »Sicher, das können wir am besten.«
»Aber Sie haben mir doch von Professor Montalban, dem Atomkraftwerk und diesen Dingen erzählt! Wollen Sie das nicht weiterverfolgen?«
»Vielleicht ist das letztendlich doch nicht so wichtig, wie ich zunächst geglaubt hab«, entgegnete
Weitere Kostenlose Bücher