Der fliegende Weihnachtskater
vergessen hatte, dass es auch zu seinen Aufgaben gehörte, die Passagiere zu begrüßen. Thomas war so konzentriert bei der Sache, dass ihm dieser Akt der Höflichkeit entfallen war.
»Ja, oh, hätte ich machen müssen.«
»Schon gut.« Amita nahm den Hörer und gab den Fluggästen die Auskünfte über Flughöhe, voraussichtliche Flugzeit und das Wetter in Berlin weiter. Und dann wünschte sie allen auch noch schöne Weihnachten.
»Diese Floskel hätte ich auch vergessen. Weihnachten – was ist schon Weihnachten?«
»Wenn ich mich recht entsinne ein Fest, das man mit Besinnlichkeit, Glühwein und Geschenken in Verbindung bringt.«
»Und Lebkuchen«, sagte Eva hinter ihnen und wedelte mit einer Packung Weihnachtsgebäck. »Kapitän Rosenhag, ich soll sie von einer jungen Dame namens Janina herzlich grüßen.«
Amita drehte sich zu der Stewardess um.
»Oh, ist sie an Bord? Ich dachte, sie würde schon früher zurückfliegen. Grüßen Sie Janina zurück und richten sie ihr aus, dass wir versuchen werden, ganz besonders weich zu laden.«
»Machen Sie nicht solche haltlosen Versprechen«, knurrte Thomas. »Wir haben mit heftigen Böen zu rechnen.«
»Sie werden doch eine süße Neunjährige nicht enttäuschen wollen?«
»Das darf man wohl nicht, was? Na gut. Ich werde mein Bestes geben.«
»Ich richte es Janina aus«, sagte Eva.
»Sie ist die Tochter dieses Clowns von Fluglotsen in Berlin«, erklärte Amita ihrem Copiloten und der Stewardess. »Sie werden also wirklich ihr Bestes geben, denn ich nehme diesmal keine Schuld für ein Landegehoppel auf mich.«
Thomas lachte unsicher, sagte aber nichts. Eva reichte ihr einen Becher Kaffee und meinte: »Die Kleine ist ein aufgewecktes Ding. Und sie hat eine nette Art – kann der Vater wirklich so ein Tropf sein, Kapitän Rosenhag?«
»Vielleicht haben seine Charaktergene sich ihr nicht vererbt«, knurrte Amita, war aber eigentlich gar nicht mehr so ungehalten über Remo. Und weil im Augenblick nicht viel zu tun war, erzählte Amita ihr, wie sie Janina kennengelernt hatte.
»Ich sollte meinen Frieden mit ihrem Vater machen. Wahrscheinlich reagiere ich zu empfindlich auf seine dummen Sprüche. Sie haben recht, ein Mann, der eine so sonniges Töchterchen hat, kann eigentlich gar kein allzu großer Stinkstiefel sein.«
»Wäre es möglich, dass er Sie absichtlich hochnimmt, Frau Rosenhag? Wenn Sie doch so berechenbar verschnupft auf seine Bemerkungen reagieren?«
»Ich vermute es fast. Ich sollte mir vielleicht auch ein paar dumme Sprüche zurechtlegen. Inzwischen weiß ich ja, wie er tickt. Aber im Frühjahr habe ich mich wirklich jedes Mal teuflisch über ihn geärgert. Bei jeder Landung war ich nervös und angespannt, um ja nicht wieder einen noch so kleinen Fehler zu machen. Aber er fand immer etwas zu meckern. Und dann wurde eine Wohnung im Parterre frei, und ein neuer Mieter zog ein. Ich hörte als Erstes dessen Stimme im Treppenhaus. Sie war mir bedauerlicherweise sehr vertraut.«
»Auwei.«
»Sie sagen es. Ich bin anschließend immer auf Zehenspitzen die Treppe hinuntergeschlichen. Aber dann traf ich eines Abends, als ich nach Hause kam, das Mädchen. Sie saß verloren und schniefend vor der Haustür. Es war aber auch ein Missgeschick – keiner der Mieter war zu Hause, und sie war nach draußen gelaufen, ohne einen Schlüssel mitzunehmen. Es goss in Strömen, und sie war völlig durchgeweicht. Also nahm ich sie mit inmeine Wohnung, trocknete sie ab und fütterte sie mit Keksen und heißem Tee. Sie war mitteilsam und aufgeweckt, und mir machte es Spaß, mich um sie zu kümmern. Die größte Überraschung aber war mein unwirscher Kater. Wann immer sonst ich Besuch bekomme, löst er sich in Luft auf, verkriecht sich an Stellen, von denen ich heute noch nicht weiß, wo sie sich befinden. Aber um Janina schlich er herum. Erst in großen Kreisen, dann in immer engeren. Sie kannte gar keine Scheu vor seinem Fauchen und plapperte munter mit ihm. Er ließ sich zwar auch von ihr nicht berühren, aber immerhin schnupperte er kurz an den Fingern, die sie ihm hinhielt.«
»Vielleicht sind Sie zu alt für diesen Macho-Kater?«, meinte Eva lächelnd.
Amita lachte leise. »Vielleicht. Als ich ungefähr so alt wie Janina war, habe ich auch Freundschaft mit einer Katze geschlossen. Kinder haben wahrscheinlich einen leichteren Zugang zu den Tieren. Ich sah das zumindest als Chance, Shardul eine Kameradin zu verschaffen, und fragte Janina, ob sie nachmittags, wenn ich
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