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Der fliegende Weihnachtskater

Der fliegende Weihnachtskater

Titel: Der fliegende Weihnachtskater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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wunderbar, hatte ich mir doch schon so oft gewünscht, mich tatsächlich in die Lüfte zu erheben und die Welt von oben zu betrachten.
    Teppiche, so hörte ich bei dieser Gelegenheit, konnten manchmal magische Kräfte entwickeln. Auf einen bestimmten Befehl hin begannen sie zu fliegen, und wer dann auf ihnen saß, wurde von ihnen dorthin getragen, wo man hin wollte. Das hatte mich so fasziniert, dass ich von jenem Tag an mich auf die Suche machte. Der Alte hatte nämlich erwähnt, woran man einen solchen flugbereiten Teppich erkennen konnte. Die magischen unter ihnen waren immer sehr alt, von jenen höchst kundigen Meistern hergestellt, die noch die geheimen Künste beherrschten. Aber es waren nicht besondere Muster oder Ornamente, die sie auszeichneten, es gab sie angeblich in allen Stilarten – geknüpft, gewebt, bestickt, aus Wolle, Seide oder Baumwolle. Nur eines war ihnen gemeinsam: ein feiner, ja kaum erkennbarer Silberfaden, der sich in der Mitte – und zwar genau in der Mitte längs durch den Teppich zog.
    Nun war mein Revier tatsächlich geeignet dafür, einen solchen zu finden. Immerhin befand ich mich in dem größten Teppichbazar Jaipurs. Ich kannte alle Winkel und alle Händler mit ihren Angeboten. Stapel vonfarbenprächtigen Knüpf- und Webwaren durchsuchte ich, beschnüffelte ich, betastete ich. Meine Freunde fingen an, mich für verrückt zu halten. Musste ja so sein – ich vergaß sogar das Jagen über meine Obsession. Und selbst die rolligen Kätzinnen konnten mich nur sehr, sehr kurz von meiner Suche abhalten.
    Wie gesagt, der Bazar war weitläufig, das Angebot gewaltig. Und immer wieder kamen neue Stapel von Teppichen hinzu. Aber über die Monate hin bekam ich ein Gespür dafür, welche ganz bestimmt nicht in Frage kamen, und ich engte den Kreis ein. Alle die mit dem Geruch moderner Farben, jene, die nicht die traditionellen Muster aufwiesen, solche, die nicht von Hand geknüpft waren, aber von den Schlawinern unter den Händlern als solche angeboten wurden, die betrachtete ich gar nicht erst. So fand ich dann heraus, dass einer der Händler mit ganz besonderer Ware handelte – gebrauchte Teppiche, manchmal schon ein wenig abgenutzt an den Rändern, doch immer frisch gereinigt und aufgebürstet. Bei ihm versprach ich mir einen gewissen Erfolg. Wo immer er seine Ware bezog, er bekam alle Monate neue Lieferungen, und die untersuchte ich besonders gründlich. Es blieb nicht aus, dass der Mann mich bemerkte. Er war ein magerer Kerl, aber wohl doch recht kräftig, denn er wuchtete die Rollen mit einiger Leichtigkeit umher und schlug die Stapel für die Kunden geschwind auf. Ich strich häufig um seinLager, und wenn er sich von der Garküche etwas zu essen holte, gab er mir manchmal einen Happen Fleisch oder ein Schüsselchen Joghurt ab. Er gewöhnte sich sogar an, einige Worte mit mir zu wechseln, und erlaubte es mir, auf den Teppichen zu ruhen. Einen mochte ich besonders gerne. Der war etwa drei Katerlängen lang und zwei breit und fühlte sich himmlisch seidig an. Den Rand umwand ein wundervolles Blumenmuster, doch in der Mitte war er einfarbig und schlicht, aber von leuchtendem Rot – so rot, wie nur die beste Seide leuchten konnte. Der Händler bemerkte einmal, dass mein grau-schwarzer Pelz sich sehr dekorativ darauf machte.
    Dann erschien am nächsten Morgen die Frau. Und die handelte und feilschte und ging wieder weg und kam wieder. Und handelte und feilschte und trank Tee und schwatzte. Mir wurde das zu langweilig. Ich streunte anderweitig herum, und als ich abends wiederkam, war mein Lieblingsteppich von seinem Stapel genommen und zu einer losen Rolle in eine Ecke gelegt. Noch machte ich mir keine Gedanken darüber, warum das wohl so war. Teppichrollen hatten mir schon immer gefallen, und dieser aus Seide behagte mir besonders. Ich schlüpfte hinein in den weichen Tunnel. Und als ich es mir gerade gemütlich machen wollte und schon zu schnurren begonnen hatte, da entdeckte ich ihn dann – den feinen Silberfaden.
    Genau in der Mitte, auf der Unterseite in dem Gewebe. Genau da zog sich ein hauchfeiner, schimmernder Faden entlang. Das untrügliche Zeichen, dass dieser Teppich – bei Anwendung des rechten Wortes – sich in die Lüfte erheben und seinen Passagier tragen würde.
    Ob der Händler den Faden auch gesehen hatte? Oder die Frau?
    Ich weiß es nicht. Zumindest hatte der Mann nie den Versuch gemacht, den Teppich dazu zu bringen, sich zu erheben. Und die Frau? Pah, die hatte ihre

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