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Der Fliegenfaenger

Der Fliegenfaenger

Titel: Der Fliegenfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Russell
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alles wieder normal war, ging ich selber in die Küche, toastete Brot und kochte Milchkaffee und versuchte es genauso zu machen wie meine Mam, damit alles wieder völlig normal war. Doch als ich mit den Sachen ins Wohnzimmer kam, saß meine Mam immer noch da und starrte aus dem Fenster. Ich stellte den Kaffee und den Teller mit Toast vor sie hin, aber sie achtete nicht drauf. Also schaltete ich den Fernseher an und wie immer kamen Bob und die Blockbusters und sie benahmen sich genauso wie sonst und waren beruhigend bescheuert.
    Und ich sagte zu meiner Mam: »Mam, die Blockbusters !«
    Aber meine Mam antwortete nicht. Und da setzte ich mich aufs Sofa, weil wenigstens ich normal sein wollte. Ich rief sogar ein paar Antworten, in der Hoffnung, dass meine Mam dann mitmachen würde. Ein paar Mal sagte ich sogar absichtlich was Falsches, weil ich dachte, das würde meine Mam vielleicht anspornen, die richtige Antwort zu geben, normal wie immer. Aber meine Mam saß nur da und gab von Anfang bis Ende nicht eine einzige Antwort. Also schaltete ich den Fernseher wieder aus.
    Und an diesem Abend war Wölflings-Treffen. Also benahm ich mich auch weiterhin normal, ging in mein Zimmer hinauf und zog meine Pfadfinderkluft an. Dann ging ich wieder runter und bat meine Mam um zwei Pfund fünfzig für den Mitgliedsbeitrag und das Sommercamp.
    Aber meine Mam starrte weiter durchs Fenster. Ich wiederholte meine Bitte, aber da klopfte es an der Hintertür. Und als ich aufmachte, kam meine Großmutter rein, normal wie immer, und einen Moment hätte ich die Sache mit dem Kanal fast vergessen, so wahnsinnig froh war ich, meine Oma zu sehen.
    »Hallo, mein Schatz, wie geht’s?«, fragte sie. »Willst du gerade zu deinen Wölflingen?«
    Aber da sagte meine Mam, die immer noch aus dem Fenster starrte: »Da geht er heute ganz bestimmt nicht hin.«
    Meine Oma blickte mich fragend an. Dann erwiderte sie: »Meine Güte, Shelagh, was hat er denn getan? Lass ihn doch zu seinen Wölfingen gehen!«
    Jetzt drehte sich meine Mam um und sagte: »Was er getan hat? Was er getan hat? Warum fragst du ihn nicht selbst, Mutter?« Und dann schaute sie mich an und sagte: »Na los! Erzähl deiner Großmutter, was du getrieben hast. Mal sehen, ob sie dann immer noch findet, dass du zum Wölflingstreffen gehen solltest!«
    Sie stand vom Tisch auf und sagte: »Na los, Mutter, frag ihn. Er war doch immer dein Herzblatt, nicht wahr? Mein Herzblatt ist er auch mal gewesen! Aber da hab ich noch gedacht, dass er ein netter Junge sei, Mutter. Jetzt ist er kein netter Junge mehr! Mein Herzblatt? Ich kann seinen Anblick kaum noch ertragen!«
    Ich drehte mich nach meiner Oma um, die mich mit verblüfft gerunzelter Stirn anstarrte.
    Und da spürte ich, wie sich mein Gesicht zusammenkrampfte, und tief aus meinem Inneren brach ein lautes, erschrockenes Schluchzen, und ich verging fast vor Angst, dass meine Mam mich vielleicht nicht mehr lieb hatte. Jetzt schrie sie mich schon wieder an, und als meine Oma sie beruhigen wollte, wurde meine Mam noch wütender und kreischte, ich solle mich in mein Zimmer scheren, sie wolle mich nicht mehr sehen. Und als ich aus dem Zimmer lief, schimpfte sie hinter mir her: »Keine Sorge! Nicht mal mehr deine Oma wird zu dir halten, wenn sie hört, was du getrieben hast!«
    Der Gedanke, dass meine Mam meiner Oma alles erzählte, war unerträglich und so lag ich auf dem Bett, weinte in mein Kissen und hielt mir beide Ohren zu, damit ich nicht unten die Stimmen hörte. Ich muss eine Ewigkeit so dagelegen haben, denn als ich endlich die Hände von den Ohren nahm, war das Geschrei vorbei und ich hörte nur noch leises Gemurmel. Ich schlich aus meinem Zimmer und setzte mich oben auf die Treppe, und als ich meine Oma reden hörte, wusste ich gleich, dass sie auch jetzt noch zu mir hielt.
    »Meine Güte, Shelagh!«, sagte sie leise. »Dann hat er eben ein bisschen Schweinkram getrieben. Er ist ein Junge! Das sind doch alles kleine Ferkel.«
    »Schweinkram!«, sagte meine Mam. »Er ist von der Schule geflogen, Mutter! Wegen ein bisschen Schweinkram fliegt man doch nicht von der Schule! In dem Bericht stand, es war eine Orgie, ›eine Orgie mit gemeinsamer Masturbation‹! Das ist doch nicht bloß ›Schweinkram‹. Schweinkram ist vielleicht das, was ein Junge allein unter der Bettdecke treibt. Aber fünfzehn, Mutter, fünfzehn! Alle gemeinsam! Das ist kein Schweinkram mehr, das ist pervers!«
    Es wurde einen Moment still und ich hörte meine Oma seufzen.

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