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Der Fliegenfaenger

Der Fliegenfaenger

Titel: Der Fliegenfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Russell
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Dann sagte meine Mam: »Und es geschah unter Zwang. Ich weiß nicht, wie er es angestellt hat, aber der Schulleiter meint, er habe irgendeine Art von Macht über die andern Jungen ausgeübt. Sie haben es alle bezeugt, jeder einzelne von ihnen hat bezeugt, dass Raymond sie dazu angestiftet hat!«
    »Was erwartest du denn, Shelagh?«, sagte meine Oma. »Es ist doch sehr bequem für sie, die ganze Schuld auf Raymond zu schieben. Was soll das heißen, er hat ›irgendeine Art von Macht über sie ausgeübt‹? Wie zum Teufel stellst du dir das vor? Hat er sie vielleicht hypnotisiert und wie der Rattenfänger von Hameln zum Kanal hinuntergeführt und ihnen dort befohlen, ihr Ding rauszuholen und -«
    Aber meine Oma konnte nicht weitersprechen, weil meine Mam sie plötzlich anschrie: »Ich will es nicht hören, Mutter! Ich will es nicht hören, hast du mich verstanden? Ich weiß ganz genau, was er getan hat! Und ich weiß, dass es widerlich war. Aber das Schlimmste hab ich dir noch gar nicht erzählt, irgendwas mit Fliegen … mit toten Fliegen!«
    Es trat eine längere Pause ein. Dann sagte meine Oma: »Mit toten Fliegen? Was soll das heißen, mit toten Fliegen?«
    Und meine Mam seufzte tief und antwortete: »Ich weiß es nicht! Und ich will es auch gar nicht so genau wissen.«
    Und dann sagte sie schluchzend: »Ich weiß nur, dass er mich anwidert!«
    Ich brach erneut in Tränen aus und wollte schon in mein Zimmer zurück, damit sie mich nicht bemerkten, als ich wieder die Stimme meiner Oma hörte, ganz sanft, und ich wusste, dass sie jetzt meine Mam im Arm hielt: »Shelagh, Herzchen! Du solltest dich mal reden hören. Er ist doch dein Sohn!«
    Aber meine Mam weinte immer noch und sagte: »Ja! Mein Sohn. Und du hättest mal hören sollen, was die anderen Mütter über meinen Sohn sagten, als ich aus dieser verdammten Schule kam. Und glaubst du vielleicht, das war schon alles? Bald werde ich nicht mal mehr durch unsere Straße laufen können, ohne dass alle tuscheln und mit dem Finger auf mich zeigen.«
    »Aber Shelagh, Shelagh«, flehte meine Oma, »seit wann richtest du denn dein Leben nach den Wertvorstellungen deiner Nachbarn aus? Vergiss sie, Shelagh. Das sind doch alles nur geschwätzige Idioten, die jetzt endlich mal was haben, worüber sie sich das Maul zerreißen können. Nachbarn! Lass dir doch von denen nichts vormachen! Die trennt doch gerade mal eine elektrische Glühbirne vom finstersten Mittelalter, trotz Auto und Wintergarten und Urlaub auf dem europäischen Festland!«
    Gerade hatte sich meine Mam etwas beruhigt, als es schon wieder an der Tür klopfte. Und jetzt stellte sich heraus, dass sich die Neuigkeiten vom Kanal wie ein Lauffeuer verbreitet hatten, denn herein trat mit allen Amtsinsignien unser Wölflingsgruppenleiter! Er wirkte nervös, aber entschlossen.
    Meine Mam, die noch völlig aufgelöst war und sich mit dem Taschentuch die Augen trocken tupfte, dachte, er wolle sich erkundigen, wo ich denn bliebe. Und sie sagte: »Tut mir Leid, Akela, aber … wir haben uns ein bisschen … na ja, Raymond kann heute leider nicht kommen. Ich hoffe, dass es nächste Woche wieder klappt, aber …«
    Da schüttelte Akela den Kopf und sagte: »Wohl kaum, Mrs. Marks. Weder nächste Woche noch übernächste Woche noch …«
    Akela sagte, meine Mam werde hoffentlich verstehen, dass es für ihn nicht gerade angenehm sei, Überbringer einer solchen Nachricht zu sein, und dass es in seiner zwanzigjährigen Pfadfinderlaufbahn das erste Mal sei, dass er einem Wölfling mitteilen müsse, er genieße nicht mehr den Respekt und das Vertrauen der Gruppe. Und dass deshalb Raymond bei den Wölflingen nicht länger willkommen sei.
    Meine Mam brach erneut in Tränen aus. Aber meine Oma weinte nicht. Meine Oma kniff die Augen zusammen, kräuselte die Lippen und sagte zu Akela: »Wie bitte? Hab ich richtig gehört? Sie werfen Raymond raus? Sie werfen meinen Enkel raus, so ein zartes Jungchen – nur wegen dieser Bagatelle am Kanal?«
    Und Akela, der bei dem Wort »Kanal« zusammenzuckte, sagte zu meiner Oma: »Entschuldigen Sie, Madam, aber ich glaube nicht, dass Sie die Tragweite des Geschehens ganz erfasst haben.«
    »Und Sie entschuldigen mich«, unterbrach ihn meine Oma, »aber ich bin seit sechs Jahrzehnten auf der Welt! Und von einem aufgeblasenen Schwachkopf mit Halstuch und Zipfelmütze lasse ich mich nicht abkanzeln!«
    »Mutter!«, mahnte meine Mam.
    Und meiner Mam zuliebe zügelte meine Oma ihren Zorn einen Moment. Sie

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