Der Fliegenpalast
mit einem jungen Engländer gefochten, sie hatten einfach den Tisch und ein paar Stühle auf die Seite geräumt. Nach einem heftigen Gewitter war es dann über Nacht wieder Sommer geworden, wobei die Erde gezittert hatte wie bei einem leichten Beben. Die aufgeweichten Wege trockneten im Sonnenschein rasch. Der Arzt war trotz des Sauwetters in seinem Einspänner heraufgekommen, hatte die Mutter untersucht. Zwei Tage später hatten sie alle drei wieder eine Wanderung unternommen.
Der Abend, an dem er nach dem Essen mit dem Maler Guggenmoser und dem menschenscheuen Musiker Kreil zur Kirche spaziert war. Eine klare Sternennacht. Er hatte sich vorgenommen, demnächst um diese Zeit mit der Taschenlampe allein auf das Hochplateau zu spazieren und dann in die Sternenwelt zu schauen. Kreil hatte auf dem blassblau gestrichenen Harmonium zwischen zwei Windlichtern in der Kirche schwermütige Weisen gespielt. Danach hatten sie zu dritt Szenen aus alten italienischen Novellen von Bandello improvisiert, waren mit den Windlichtern zum Ortsausgang spaziert. Niemand war mehr unterwegs gewesen. Sie stellten sich vor, sie seien galante Herren, die hinter ihren Fackelträgern zum Haus einer Angebeteten gingen.
AUF DER Terrasse spannte der alte Leo ein paar Sonnenschirme auf. H. wählte einen windgeschützten Tisch an der Hausmauer. Im
Interessanten Blatt
ein Interview mit Franz Werfel über seinen Verdi-Roman. Er dachte wieder an Carl: An einem der letzten Tage in Lenzerheide hatte er der Gerty einen Brief schreiben wollen über ihn, diesen merkwürdigen Menschen, um den ihm manchmal bang war, über das Finstere seines Wesens, das sich zwar nicht oft hervorkehrte, aber dann wieder … Seine Abneigung, ja sein Hass auf Basel, sein Unmut über den Beruf des Historikers … Er hatte der Gerty sagen wollen, daß er etwas Verhängnisvolles in den Charakteren von Carls Eltern vermute: das allzu Geistige des Vaters und das dumpfe, erdhafte Wesen der Mutter, die anscheinend in ihrem Leben nie glücklich gewesen war.
Doktor Krakauer verspätete sich. Es war ausgemacht, daß sie, wenn die Verfassung der Baronin es zuließ, zu der völlig heruntergewirtschafteten Jagdhütte des Kardinal-Fürsten Schwarzenberg, dem Bad Fusch im vorigen Jahrhundert viel verdankte, spazieren würden. Die Baronin fühle sich nicht wohl, hatte Krakauer ihm am Vormittag gesagt, als sie einander im Foyer begegnet waren, sie bleibe heute in ihrem Zimmer, er sei am Nachmittag frei.
Da Krakauer ihm gesagt hatte, daß er den
Brief des Lord Chandos
mit großem Vergnügen gelesen habe, hatte er selber das Buch am Anfang des Textes aufgeschlagen, und es waren ihm die schwierigen Jahre vor und nach seiner Hochzeit in Erinnerung gekommen. Ich bin ins Leben eingetreten, hatte er Jahre später einmal gedacht, und meine lyrische Begabung ist bei der anderen Tür hinaus.
In der Fusch war er in jenen Jahren nicht gewesen, erst in dem Jahr wieder, als er hier endlich das Theaterstück
Das gerettete Venedig
hatte vollenden können und zwischendurch an Entwürfen schrieb für die Bearbeitung von antiken Dramen und Calderón-Stücken.
BEINAH VIER Wochen war er jetzt fern von zu Hause, und was war getan? Für den
Timon
nichts als Notizen, ein paar Korrekturen, aber der
Turm
war doch nahezu vollendet … Habe ich, überlegte er, Angst, beim Überarbeiten dann in Aussee mich wieder zu verrennen, wieder Ungenügen zu empfinden, wieder neue Varianten zu entwerfen?
Aus einem Bereich in seinem Kopf, als wäre der ein Grillparzersches Archiv, meldete sich immer wieder einmal der Roman, die Figur des Andreas, als wollte auch der wissen, wie es in seinem Leben weiterginge. Die beiden verführerischen venezianischen Mädchen, von denen nicht einmal er als Autor wußte, waren es wirklich zwei oder war es bloß eine, die ihn zum Narren hielt? Der Bub, dachte er, kann ja nicht wissen, daß es sich um eine gespaltene Persönlichkeit handelt. Und plötzlich die Überlegung, ob es nicht grundverkehrt gewesen war, die Romana-Geschichte zu verknüpfen mit dieser psychologischen Fallstudie, auf die ihn die Fürstin Thurn und Taxis vor vielen Jahren aufmerksam gemacht hatte. Warum nicht einfach den Venedig-Teil als eine wunderbare Lehrzeit für den Andreas anlegen, mit dem Malteser als einer Art Lehrmeister; eine Liebesgeschichte auch für den gänzlich unerfahrenen jungen Mann beziehungsweise zwei Liebesgeschichten, wobei Andreas sich schließlich für die Romana entscheiden würde.
Das Venedig des
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