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Der Fliegenpalast

Der Fliegenpalast

Titel: Der Fliegenpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Residenz
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Schwester Franziska einmal gesagt, als sie sich zufällig vor der Minoritenkirche getroffen hatten.
    Die alte Frau, hatte er damals gedacht, hat sich in einem höheren und edleren Dasein ausgelebt als wir Normalmenschen, sie hat Kostbareres gegeben und empfangen und reicher und schöner geträumt als vielleicht wir alle. Wie tief meiner Zukunft die Spuren dieses Wesens aufgeprägt sein werden, hatte er gedacht. In allem, was vielleicht aus mir werden mag.
    Eine andere Zeile von damals ging ihm im Kopf herum:
Ich spür noch ihren Atem …
Oder besser:
Noch spür ich ihren Atem …
Aber damit habe ich dann ja die Reihe der Terzinen beginnen lassen, erinnerte er sich.
    Unvergeßlich der Traum, in dem die Michi ihm erschienen war, Michi Nicolics, Edgars Freundin. H. war nicht verliebt gewesen in die Michi, aber als der Edgar wegen dienstlicher Angelegenheiten eine Woche später als geplant in Strobl ankam, waren die Michi und er sich näher gekommen. In dem Traum war sie ihm als kleines Mädchen erschienen und gleichzeitig als ein vollkommen erotisches Wesen – ganz anders als in der Wirklichkeit. Als er den Traum am Morgen notiert hatte, entwickelte sich die Zeile zu einer Terzine:
    Zuweilen kommen niegeliebte Frauen
    Im Traum als kleine Mädchen uns entgegen
    Sind unsäglich rührend anzuschauen

    Was die Marie von Gomperz anlangte: Erst einmal der Dienst beim Militär, hatte er gedacht, das Freiwilligenjahr in Mähren, das er im Herbst antreten mußte. Das würde Abstand schaffen. Wer weiß, wie mir danach zumute sein wird. Beruflich sah er keinen Weg vor sich. Ich bin, hatte er sich gesagt, nicht reich genug, und werde es nie sein, um ohne einen Beruf anständig leben zu können. Eine Gelehrtenlaufbahn? Gymnasiallehrer? In den Staatsdienst gehen? Er dachte, meine Phantasie versagt, ich kann mir derzeit gar nichts vorstellen. Grillparzer fiel ihm ein, die Fotografie, die ihn in seinem Büro in der Hofkammer am Schreibtisch zeigt.
    Er hatte sich schon sehr auf den Abend gefreut. Nach dem Essen würde er sich von den Eltern verabschieden, sich umziehen, auf seinem Zimmer an den Gedichten arbeiten. Der vorige Abend war ein unendlich lustiger gewesen, aber eigentlich war’s verlorene Zeit. Lustig konnte er dann in Strobl sein, nächste Woche auf dem Wolfgangsee herumsegeln, Tennis spielen, mit den Freunden spazierengehen. Strobl war für ihn niemals ein Ort zum Arbeiten gewesen. Schon oft hatte er sich gefragt, was Strobl fehlte und was die Fusch ihm gab …
    Wie hatte er es damals genossen, vor dem Schlafengehen noch eine Weile am offenen Fenster zu sitzen, wenn es, wie jetzt, draußen lau war. Vom Kurhaus herüber hatte er manchmal Klavierklänge gehört, manchmal Gebell von Hunden, eine Art von Dialog. Einmal war er bis zu dem alten Bauernhof spaziert, von wo man steil hinuntersah auf das Dorf. Fasziniert hatte er zugeschaut, wie die Bäuerin, umringt von Kindern, mit einer Art Holzschaufel mit langer Stange die fertig gebackenen Brotlaibe aus dem Ofen herausgezogen hatte.
    Und an jenen Abend erinnerte er sich auch noch sehr gut: Es war Mitternacht, er war sehr müde. Zuerst war er nach dem Essen auf seinem Zimmer gewesen, war dann in das Rauchzimmer hinuntergegangen, hatte sich eine halbe Stunde an den Tisch gesetzt, wo Gustav Schwarzkopf mit dem Carl Weis und einem ungarischen Musikverleger tarockierte. Ich bin zu dumm zum Kartenspielen, hatte er zu ihnen gesagt, mir schießt auch zu viel durch den Kopf, ich kann mich nicht konzentrieren auf die Karten. Er war froh, daß die beiden in jenem Jahr in die Fusch gekommen waren, außer ihnen hatte er niemanden zum Reden, nur den Papa, beim Spazierengehen. Schwarzkopf hatte ihm einige Tage zuvor das Manuskript zu einem Lustspiel gegeben und ihn um seine Kritik gebeten. Auch die Familie Schwarzkopf hatte seit jeher im Hotel
Flatscher
gewohnt. H.s Eltern pflegten mit der Besitzerfamilie ein langjähriges familiäres Verhältnis. Beim Essen war er mit seinen Eltern beisammen, untertags ganz für sich, außer er schloß sich den beiden Männern zu einer Wanderung an. Er war froh, ihnen bei den Mahlzeiten nicht zu begegnen. Manchmal, wenn er für sich allein spazierenging, pflückte er am Heimweg einen Strauß Blumen für die Mama. Wie froh war er gewesen, als es ihr wieder besser ging.
    In seinem Zimmer hatte er an manchen Tagen furchtbar gefroren, fiel ihm ein, zum Schreiben hatte er sich Handschuhe angezogen. Im nicht geheizten Lesezimmer hatte er, um sich aufzuwärmen,

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