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Der Fliegenpalast

Der Fliegenpalast

Titel: Der Fliegenpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Residenz
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Kerze stiften, nickte ihm dann grüßend zu und verließ die Kirche. Er steckte endlich die Kerze auf einen der Nägel und überlegte, wie er seinen Wunsch formulieren sollte.

AN DER Table d’hote im Speisesaal war ihm gleich am ersten Abend aufgefallen, daß einige Gäste nicht in Abendkleidung an den Tischen saßen. Auch er hatte auf seiner Reise in die Schweiz für die Abende bloß ein dunkles Sakko mitgenommen. Carl hatte ihn darauf hingewiesen, daß man sich – ausgenommen in den allerersten Hotels – jetzt sommerlichleger kleidete. Hier saß nun ein Herr im weißen Hemd mit einer unmöglichen Krawatte am Tisch. Kaum jemand, der seine Dame zum Tisch begleitete, ihr den Stuhl zurechtrückte. Das großflächige Bild an der Wand, eine Ansicht des Großglockners mit dem mächtigen Pasterzen-Gletscher, kannte er von früher; wenn er sich richtig erinnerte, hatte es seinerzeit in der Halle gehangen. Die Kellner schienen ungeschickter als vor dem Krieg, in den paar Tagen hatte er es zweimal erlebt, daß ihnen ein Teller oder Besteck aus den Händen fiel. Wenn sie Beistell- oder Anrichtetischchen durch den Saal schoben, ratterte es oder sie stießen an Tische; es schien ihnen an Augenmaß zu fehlen. Am Essen jedoch war nichts auszusetzen, die Kalbsleber mit Butterreis, Salzkartoffeln und Bohnen gestern war ausgezeichnet gewesen. Zum Nachtisch gab es Obst und Emmentaler – den er in Lenzerheide nie bekommen hatte. Laut war es geworden in den Hotels, auch in Lenzerheide, kaum jemand dämpfte seine Stimme, lautes Lachen in der Nacht, Türenschlagen, Gekichere auf dem Gang … Auch hatte er schon überlegt, dem Portier zu sagen, daß ihm der Kaffee nicht schmecke. An der Eingangstreppe schossen Bärenklau, Königskerzen und Huflattich in die Höhe. Es war ihm auch aufgefallen, daß einige der Gäste auf ihren Wanderungen keine Bergschuhe, sondern gewöhnliche Halbschuhe trugen.
    Und er dachte wieder an seine Familie in Aussee. Wie lange hatte er dem Haus in Obertressen Nummer vierzehn nachgetrauert, das sie so viele Sommer- und Herbstmonate bewohnt hatten. Manchmal, wenn er selbstvergessen seine Wege gegangen war, hatte er plötzlich einen Stich im Herzen verspürt, bis ihm einfiel, sie hatten ja wieder ein Häusl, und gar nicht weit entfernt vom früheren. Aber im Sommer davor, nachdem die Bäuerin außer der täglichen Kanne Milch einen Korb mit Eiern, Speck und einen Laib Brot hingestellt und dann umständlich erklärt hatte, ihr Mann werde demnächst kommen, um mit ihnen zu reden: Vom nächsten Frühjahr an würden sie das Haus selber brauchen, der Sohn wolle heiraten …
    Die Aussicht, womöglich im nächsten Sommer und Herbst kein Haus in Aussee mehr zu haben, hatte ihn wochenlang deprimiert; er hatte die Arbeit an einem Ballettszenario unterbrechen müssen und stattdessen hinsichtlich möglicher Bearbeitungen in seiner Calderón-Ausgabe gelesen. Selbst wenn sie wieder ein Haus fänden in Altaussee, hatte er damals gedacht, hieß das noch lange nicht, daß es ein Haus war, in dem er leben, mit anderen Worten, in dem er arbeiten konnte. Und wie weit mochte die Unterkunft dann entfernt sein von seiner Lieblingsbank! Manchmal, wenn die beiden Buben zu sehr lärmten, hatte er seine Schreibmappe genommen und war zu der Bank am Waldrand spaziert. War sie frei, fühlte er sich im Einklang mit der Welt. Diese Bank, hatte er manchmal gedacht, mein eigentliches Zuhause. Sie hatten Glück gehabt mit dem neuen Häusl, der Bürgermeister hatte geholfen zu vermitteln. Aber er war es so gewöhnt, seinen Hut auf das Rehkrickel zu hängen, wenn er von einem Spaziergang zurückkam, daß er, wenn er ins ganz ähnlich dunkle Vorhaus trat, den Arm mit dem Hut in der Hand hochstreckte, sich jedes Mal zu spät erinnerte, daß auf den langen, hervorstehenden Holznägeln jetzt ihre Regenschirme hingen.

ER GRIFF nach seinem Notizbuch und schrieb den Satz auf, den er eben in einer französischen Zeitschrift gelesen hatte, eine Auswahl von Aufzeichnungen Paul Valérys:
Plagiator ist jener, der die Substanz der anderen schlecht verdaut hat
. Es war ihm beim Lesen bewußt geworden, daß ihn Kritiker im Lauf der Jahre immer wieder als einen Plagiator oder Epigonen bezeichnet hatten. Als hätten nicht alle von den Vorgängern gelernt, sich von den Meistern anregen lassen. Als käme es eben nicht darauf an, aus diesen Anregungen etwas Eigenes zu machen. Es war spät. Auch an diesem Tag hatte er keine Zeile schreiben können, und er war

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