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Der Fluch der Abendröte. Roman

Der Fluch der Abendröte. Roman

Titel: Der Fluch der Abendröte. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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sich auf der anderen Seite keine Klinke, so dass sich die Männer nicht selbst befreien konnten.
    Mia hatte unterdessen die Taschenlampe aufgehoben, die einer der Männer hatte fallen lassen, und leuchtete die Wände ab.
    »Ich glaube, ich weiß, wo wir sind!«, rief sie aufgeregt. »Wir sind im Salzbergwerk!«
    Aurora antwortete nicht. Eben hatte sie noch gedacht, ihre Hände würden mit dem Schwert regelrecht verschmelzen, nun fühlten sie sich taub an. Sie atmete tief durch, lehnte sich gegen die Wand. Die Erschöpfung war noch übermächtiger als vorhin. Doch das war es nicht, was ihr am meisten Angst machte – es war die vage Ahnung, die sie überkam.
    »Caspar …«, stieß sie aus, »Caspar von Kranichstein … und mein Vater … Nathan … ich glaube, sie sind beide in der Nähe.«
    Nein, nicht Aurora und Mia waren hier in diesem Kerker gefangen. Es war ein Mann … ein Nephil … Nathan …
    »Nathan!«
    Ich lief auf ihn zu. Die Lampe war zwar endgültig erloschen, aber von der Decke her kam ein diffuses Licht. Es war eine kreisrunde Neonlampe, die den Raum beleuchtete. Die Wände waren schief und aus Stein gehauen, die Decke mit Holzpfosten abgestützt, die verwittert wirkten. Der Boden war glitschig, beinahe rutschte ich aus, aber ich fand das Gleichgewicht wieder und hatte ihn auch schon erreicht. Nathan, meinen Liebsten, Nathan, der lebte.
    Als sich unsere Blicke trafen, sich seine blauen Augen förmlich in meine gruben, durchfluteten mich Liebe, Erleichterung, Dankbarkeit. Aber all das währte nicht lange. Ängstlich fuhr ich mit der Hand über die Ketten, diese schweren, kalten Ketten, aus denen sich selbst ein so starker Nephil wie er nicht befreien konnte. Kalt war auch sein Gesicht, als ich es berührte, seine Finger, als ich meine mit ihnen verschränkte. Sie erwiderten meinen Druck, spannten sich dann an. Mit aller Kraft stemmte er sich gegen die Ketten, nicht zum ersten Mal, wie sein erschöpftes Gesicht verriet, doch bald resignierte er wieder.
    »Sophie …«, Nathans Stimme klang heiser. »Sophie … du darfst hier nicht bleiben … du musst gehen … sofort … Flieh, solange du noch kannst!«
    Nun war ich es, die eine dieser Ketten packte und daran zerrte, obwohl es ein lächerliches Ansinnen war. Wenn er sich nicht selbst befreien konnte, konnte ich es erst recht nicht. Doch es hätte mich verrückt gemacht, untätig zu bleiben. »Ich lass dich nicht allein.«
    »Bitte, Sophie, bitte geh!«
    »Verlang das nicht von mir!«, rief ich verzweifelt. »Ich lass dich doch hier nicht zurück!«
    »Ach, wie rührend!«, ertönte es plötzlich hinter uns.
    Ich fuhr herum, sah, wie Caspar an der Tür lehnte und keine Anstalten machte, näher zu kommen – noch nicht. Kurz hatte ich ihn vergessen, kurz war nur wichtig gewesen, dass Nathan lebte … Nun wurde mir bewusst, dass Nathan hilflos seinem schlimmsten Feind ausgeliefert war, und ich stellte mich schützend vor ihn – obwohl ich wusste, dass ich gegen Caspar, wenn es darauf ankam, ebenso wenig ausrichten konnte wie gegen die Ketten.
    »Ach, wie rührend!«, wiederholte Caspar und blieb immer noch starr stehen.
    Nathans durchdringend blaue Augen lösten sich von mir, sahen jetzt Caspar an. Er musste Angst haben, weniger um sich selbst als um mich, doch er ließ sich nichts anmerken, hatte seine Gesichtszüge vollkommen unter Kontrolle. »Ich hätte mir denken können, dass du mit …
ihm
unter einer Decke steckst.«
    Nüchtern klang die Stimme, nicht das leiseste Zittern war darin, und auch ich unterdrückte ein Schaudern, als Caspar sich nun doch von der Tür löste und näher kam. Nein, diesen Triumph sollte er nicht haben – wir würden ihm keine Angst zeigen.
    Sein Gang wirkte beschwingter als vorhin, seine Augen waren glänzender.
    Er ist am Ziel …, durchfuhr es mich, er hat endlich bekommen, was er will … seinen Erzfeind … mich … wir beide ihm schutzlos ausgeliefert …
    Ich ballte meine Hände zu Fäusten. »Du verfluchter …!«, setzte ich an, plötzlich sicher, dass es kein Zufall war, dass wir Nathan hier gefunden hatten. Caspar musste das alles geplant haben, musste gewusst haben, dass wir ihn hier finden würden. Er hatte sich nur schwach gestellt, damit ich selbst ihm den Weg zu Nathan weisen und dadurch seinen Sieg noch vollkommener machen würde …
    Ich ballte meine Fäuste noch fester zusammen. Fast hatte er mich erreicht, ich glaubte schon, seinen Atem zu spüren.
    »Fass Nathan nicht an!«,

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